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Nach der Globalisierung

<p>Die Globalisierungsdebatte ist - beginnen wir mit einer scheinbar trivialen Beobachtung - global, ob man in Singapur oder Los Angeles nachfragt, es gibt eine Korpus von Text, Themen, Sachverhalten, eine gewisse systemische Reflexion. In mancher Hinsicht scheint Globalisierung bereits jetzt Einstieg in eine Selbstbeobachtung, einen selbstreferentiellen Diskurs zu sein, darüber hinaus auch noch eine self-fulfilling prophecy, die tatsächlich ihre eigene Erfüllung erlebt. Nicht daß es nicht zuvor schon globale Debatten gegeben hätte, denken wir an ähnlich gelagerte wie die um eine neue Weltwirtschaftsordnung und die strukturelle Dependencia der Dritten Welt vor zwei oder drei Jahrzehnten - an der der Soziologe Enrico Cardoso maßgeblich&nbsp; beteiligt war, der sich nun als brasilianischer Präsident Cardoso in den Stürmen der Globalisierung zu bewähren hat. Daß aber subjektiver und objektiver Geist sich derart nahe kommen - sozusagen Politik der Theorie in Echtzeit - könnte vor allem unsere Zeithistoriker erschrecken, die sich gerade daran zu erfreuen beginnen, daß die Geschichte der Bundesrepublik mit der Vereinigung zu Ende gegangen, damit ein wunderbares historisches Objekt entstanden ist, das zugleich so nahe wie nie and der Gegenwart ist.<br /><br />Bei näherem Hinsehen kommen aber gewiß auch anderen Wissenschaften Zweifel, ob es mit der berühmten Raum-Zeit-Kompression, von Geld und Medien vorangetrieben, auch für die Selbstbeobachtung so viel auf sich hat. Schon eine symptomatologische Untersuchung der Globalisierungsdiskurse bestätigt kaum den Eindruck eines sich selbst beobachtenden Prozesses. Nehmen wir einige wenige Indikatoren. Bis vor kurzem war die Debatte in hohem Maße disziplin- und biographieabhängig, das heißt, die frühere Stellung des Autors im Modernisierungsdiskurs sagt schon viel über seine künftige Stellung im Globalisierungsdiskurs aus. Nehmen wir Richard Sennett als Beispiel: &quot;Wir sollten diese ganze Rhetorik der Modernisierung, des permanenten Wandelns und Wandels und dauernden Risikos kritisch befragen: Wem nützt sie eigentlich? Ich persönlich bin davon überzeugt, daß jedenfalls nicht der vielzitierten neuen Mitte nützt, was immer die Apologeten des modernen Kapitalismus behaupten mögen. Denn die neue Mitte erfüllt das Flexibilisierungsgerede nicht mit Aufbruchstimmung, sondern mit tiefer Furcht.&quot; So Sennett vor kurzem in einem Interview, in dem man das Wort Modernisierung ohne weiteres durch das Wort Globalisierung ersetzen könnte, ohne daß sich an Gehalt und Intention dieser Sätze irgend etwas änderte. Wir könnten die Globalisierungsdiskurse danach klassifizieren, wie sie zu Modernismus, Modernisierung und Modernität stehen. In der Debatte werden eben nicht nur Positionen, sondern auch Biographien und Fächer verteidigt oder auch die politische Melancholie an die nächsten Generationen übergeben. Es ist auch von größter Bedeutung, wo ein Globalisierungsdiskurs seinen Schwerpunkt hat. Die angelsächsische Globalisierungsdebatte zum Beispiel hat ihren Schwerpunkt vor 1989, die deutsche und französische danach. Für britische Soziologen und Historiker - vor allem noch, wenn sie in den Vereinigten Staaten lehren - ist Globalisierung ganz eng mit der historischen Dialektik von Nationen und Märkten verbunden. Roland Robertson und Tony Judt sind hervorragende Beispiele. In der französischen Debatte wird die Größe der Nation in einem Fahrstuhleffekt auf das europäische Niveau gehoben, damit Europa gegenüber der amerikanischen Globalisierung genau dieselbe Rolle spielen kann, die Frankreich gegenüber der amerikanischen Modernisierung Europas in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zu spielen suchte. Die österreichische Globalisierungsdebatte ist mitteleuropäisch, die polnische zwischen Ost- und Westpolen zerrissen, die ukrainische wiederholt die polnische Differenz in sich und gegenüber Polen oder Rußland, je nachdem, die russische simuliert die Weltmachtrolle der verblichenen Sowjetunion, die italienische und spanische kontrastiert die Globalisierung mit ihrem historischen Regionalismus, die Schweiz wäre so gern die Mitte der Welt und findet sich in der Mitte Europas wieder, in den Niederlanden und Dänemark ist man stolz auf die Aufmerksamkeit, die die spezifische konsensuelle Antwort kleiner Länder auf die Globalisierung findet. Alle schwedischen Lebenslügen von Neutralität und Wohlfahrtsstaat finden sich in der Globalisierungsdebatte wieder und das Scheichtum Norwegen identifiziert sich mit der Globalisierung, solange es eine vom Öl angetriebene Zivilisation ist. Natürlich haben sie die kontinuierliche Steigerung des Klischeegehaltes im Laufe der Beispielkette bemerkt, aber dennoch: Die Beispiele legen keineswegs nahe, daß es mit der Globalisierung die Selbstbeobachtung der Weltgesellschaft in Echtzeit verbunden ist, sondern Globalisierung sieht eher wie der große Behälter aus, in den Staaten und Gesellschaften ihre alten Identitäts- und Alteritätskonstruktionen kippen, umrühren und sich der manchmal bizarren Effekte erfreuen.<br /><br />Von allem ein bißchen findet sich auch in der deutschen Diskussion, wie in der Mitte Europas zu erwarten, in Stuttgart und München, - in Freiburg natürlich - ein Hauch südeuropäischer Regionalität, in Leipzig und Dresden etwas vom Unterschied zwischen Westler- und Ostlertum, in Hamburg und Bremen etwas von der skandinavischen Dialektik von Welthandel und Sozialstaat, in Essen und Düsseldorf etwas von der robusten kommerziellen Globalisierung der Niederlande und Belgiens, in Saarbrücken und Köln ein tiefes mentales Einverständnis mit der Natur des rheinischen Kapitalismus. In der Mitte - ob sie nun zwischen Kassel und Erfurt oder tatsächlich in der Hauptstadt der&nbsp; Berliner Republik&nbsp; liegt - scheinen die Mentalitäten von Land und Meer wie schon früher aufeinanderzustoßen: Da ist der ferne atlantische und nun pazifische Wind der Globalisierung, daß es nämlich in der modernen Welt der Gesellschaftsverträge nun einmal rauh zugeht und Hobbesche Selbstbehauptung wieder gefragt ist - ein Wind, der für Karlheinz Bohrer seinerzeit ja schon mit dem Falkland-Krieg die muffigen zentraleuropäischen Wohlfahrtsgehirne durchwehte und der nun als globaler Geldhandel und unbegrenzte Information zum Sturm geworden ist. Dem steht die massige Sicherheit des europäischen Landes, die Konformität der Industriegesellschaft und ein stoischer Sinn für die verbliebene Gleichheit gegenüber, der tatsächlich Wahlen gewinnen kann.<br /><br />Wenn wir die Hauptlinien der Globalisierungsdebatte formal zu klassifizieren hätten, könnten wir folgende Sequenz aufstellen: Die Debatte beginnt in der Regel im Singular, das heißt, Globalisierung wird á la Schumpeter als die eine schöpferisch-zerstörerische Kraft beschrieben, der sich in den Weg zu stellen sinnlos ist. Danach wird klar, daß Globalisierung eine dualistische Struktur aufweist, auf ihre homogenisierenden Tendenzen fragmentierende antworten, auf die Tendenz zur Weltgesellschaft regionalistische Gegentendenzen, auf die Durchsetzung einer englischen Lingua Franca die Vitalisierung sprachlicher Differenz, regionaler Weltsprachen und lokaler Selbstbehauptung. Aus Singular und Dualismus entsteht dann natürlich der Pluralismus der Globalisierung, der es auf der einen Seite allen recht macht, auf der anderen Seite aber die Widersprüche zwischen den verschiedenen Globalisierungsideen schärfer hervorhebt. Von einem Dritten, von dem Wolfram Fischer gesprochen hat, ist hier offziell bisher noch nicht die Rede. Damit kommen wir der Sache jedoch schon näher.<br /><br />Globalisierung ist nicht die eine große historische homogenisierende Kraft, sie ist auch nicht der Dualismus paralleler antagonistischer Tendenzen und auch kein Pluralismus auf Weltniveau, den man ohne Reue goutieren kann. Wie also kommen wir weiter? Jean-Francois Lyotard hat einen wichtigen Hinweis gegeben, als er den Status der Postmoderne gegenüber der Moderne in einer Weise charakterisiert hat, die uns lehrt, wie wir Nach der Globalisierung argumentieren können. Die Postmoderne reflektiert etwas Unabgegoltenes und nicht abzugeltendes mit, vorund nach der Moderne. So wollen wir auch Globalisierung verstehen: Globalisierung ist mit der Moderne gleichursprünglich, sie hat sie in Rhythmen der Kontraktion und Expansion begleitet, um schließlich ihre Entscheidungsoffenheit zu behaupten, notfalls gegen die Selbstabschließungen der Globalität selbst. Alles&nbsp; andere als ein neuer Anfang ist Globalisierung zunächst also die Summe der Auseinandersetzungen um den Charakter der Modernität. Deshalb ist es zunächst auch nicht erstaunlich, daß die Debatte um die Globalisierung häufig mit der Hochzeit der Modernisierung zur letzten Jahrhundertwende - mit Simmels Soziologie in der Mitte - verglichen wird, in der Spanne zwischen Futurismus und Fin de Siècles. Auf der einen Seite sind wir am Ende des Jahrhunderts tatsächlich alle postmodern geworden - so wie der renommierte Politikwissenschaftler Klaus von Beyme in seinem Resümee der Theorie der Politik im 20. Jahrhundert unter der Kapitelüberschrift &quot;Theorien der Postmoderne&quot; Strukturalismus und Post-Strukturalismus, Chaos- und Systemtheorie, Lebenswelt und Risikogesellschaft, Feminismus und Post-Feminismus, soziale Bewegung und Wissenschaftslehre - also: Franzosen und Franzosenfresser, System- und Lebensweltliebhaber - allesamt in einem Kapitel vereint. Auf der anderen Seite brennen überall die alten modernen Sicherungen durch, prallen Arbeitsgesellschaft und globaler Markt, Amerika und die historischen Zivilisationen, kulturelle und sozio-biologische Weltdeutung aufeinander, so daß eine Aufhebung nur in der Beschleunigung einer futuristichen Zukunft möglich scheint. Wo die Not am größten ist, naht auch die Rettung, und wo das Motiv&nbsp; der Aufhebung von Widersprüchen bemüht wird, kehren wir - wen wird es wundern - zu Hegel zurück - freilich Hegel nach Lyotard, Hegel nach Luhmann und Hegel nach Habermas gelesen. Die Rückkehr zu Hegel nicht als Systemphilosophie, sondern als theoretische Intervention ist nichts Neues. Das war vor dem Ersten Weltkrieg der Fall, als es um die Begrenzung des philosophischen Materialismus ging, das war in der Zwischenkriegszeit der Fall, als dem leninistischen ein westlicher Marxismus entgegengestellt wurde, und das war in den 50er Jahren der Fall, als der technischen, ökonomischen und sozialen europäischen Integration eine Reflexion des spezifischen europäischen Politischen entgegengestellt wurde. &quot;Ein Kerngedanke Hegels in seiner Theorie von Europa ist (...) der: Europa ist der einzige geschichtliche Raum, den wir kennen, in dem sich die Fähigkeit, Polaritäten zu produzieren, sich aufzuspalten und sich auf höherer Ebene wieder zusammenzufinden, immer wieder bewährt. Das ist eine Theorie des Begriffs Europa, die sich von der Theorie, die heute der Integration zugrunde gelegt wird, ziemlich weit entfernt&quot;, so in einer Diskussion zu Joachim Ritters einflußreicher Arbeit Hegel und die Französische Revolution. Nachdem sich in den vier Jahrzehnten danach in diesem Sinne eine eher unpolitische Interpretation ausgebreitet hatte, kehrt die Hegelsche europäische Frage nach der Währungsunion als Globalisierungsfrage - wiedergeboren - zurück. Das wird in Washington mißtrauisch wahrgenommen, in Paris mit unbegründeter Genugtuung registriert, in London opportunistisch analysiert, in Moskau ohnmächtig ignoriert und in Berlin als Gebrauchsanleitung zur Hauptstadtinszenierung trivialisiert.<br /><br />Drei ziemlich rohe Motive sind es bei Hegel, wie gesagt nicht eine systematische Rekonstruktion der intra- und intersubjektiven Dialektik der Anerkennung, die uns in diesem Kontext interessieren. Da ist zunächst die Annahme seiner Philosophie der Geschichte, daß die leitenden Prinzipien der Weltgesellschaft mit denen der führenden Staaten, Gesellschaften und Zivilisationen kongruent sind. Hegel spricht von der Germanischen Welt, gemeint ist aber natürlich das westeuropäische konstitutionalistische Prinzip. Manches an Hegels These werden wir heute nicht mehr relevant finden, zum Beispiel die Annahme, daß erst mit der Verwandlung der Vereinigten Staaten in eine konstitutionelle Monarchie der Zyklus der Staatsbildung abgeschlossen sei. Aber die Kongruenz zwischen den leitenden Prinzipien der Weltgesellschaft und denen der &quot;leitenden&quot; Gesellschaften und Staaten, ist von höchstem Interesse. Samuel Huntington hat in seinem vieldiskutierten Werk &quot;The Clash of Civilisations&quot; eine anti- universalistische Wendung vollzogen, die für die frühere sozialwissenschaftliche Theorie der Modernisierung nicht denkbar gewesen wäre. Spätestens seit den 50er Jahren waren Differenzierung, Mobilisierung, Partizipation und individuelle Konfliktaustragung die universalen Modernisierungsleitlinien, die zugleich politisch in der industriellen Welt gegenüber dem rivalisierenden Sozialismus und in der Entwicklungspolitik gegenüber nationalrevolutionären Wegen behauptet wurden. Daß die Vereinigten Staaten und Großbritannien universale Prinzipien gesellschaftlicher Evolution verkörperten, gehörte zu den Kernbestandteilen der klassischen Modernisierungstheorie, wie man noch bei Lepsius nachlesen kann. Mit alledem hat Huntington radikal gebrochen, ohne daß dieser Bruch in der Debatte um den angeblichen Kampf der Kulturen deutlich geworden wäre. &quot;In der entstehenden Welt ethnischen Konflikts und kulturellen Kampfes krankt der Glaube an die Universalität der westlichen Kulturen an drei Problemen: Er ist falsch, er ist unmoralisch und er ist gefährlich.&quot;&nbsp; Wenn es aber keine wie auch immer zu differenzierendes universales Entwicklungsmuster mehr gibt, dann sind nur noch die globalen Zonen, Sachgebiete und ethnokulturelle Konfliktherde interessant, an denen die großen Eisschollen der Kontinente, Kulturen und Zivilisationen zusammenstoßen. Für Huntington sind es vor allem &quot;Erdöl&quot; und &quot;Migration&quot;,&nbsp; die diese Felder bezeichnen, und städtische Konglomerate die postgeographischen Orte, junge zornige islamische Männer wirksame Akteure. Schon Francis Fukuyama hatte wenige Jahre zuvor die &quot;pazifizierte&quot; post-historische Welt des Westens von der historischen abgekoppelt. &quot;Für die absehbare Zukunft wird die Welt in zwei Teile zerfallen, in einen post-historischen Teil und einen Teil, der immer noch in den Lauf der Geschichte eingebunden ist. In der post-historischen Welt verkehren die Staaten als Wirtschaftspartner miteinander, die alten Regeln der Machtpolitik verlieren ihre Bedeutung (...) Andererseits wird der noch in die Geschichte eingebundene Teil der Welt von einer Vielzahl religiöser, nationaler und ideologischer Konflikte zerrissen sein, bei denen nach wie vor die alten Regeln der Machtpolitik gelten.&quot; Beide, Fukuyama und Huntington unterschätzen jedoch den Kern des&nbsp; Hegelschen Arguments. Übereinstimmung zwischen den Leitprinzipien der Weltgesellschaft und denen der führenden Staaten und Gesellschaften ist in jedem Fall notwendig, ob die Welt nun historisch oder post-historisch ist, der Universalismus utopisch aufgeladen oder technologisch abgekühlt ist. Tatsächlich verbirgt sich hinter dem Getöse des Kampfes der Kulturen und des Endes der Geschichte der&nbsp; Konflikt um eine neueglobale Leitidee, nämlich zwischen dem hegemonialen und dem regionalen Prinzip, Marktindividualismus und Nation, hier die Regionen, in denen eigene Diversitätstypen herrschen idealtypisch von den Vereinigten Staaten und Europa repräsentiert werden, ein Konflikt, den Huntington&nbsp; geradezu totzuargumentieren sucht. Nun wird sich europäische Identität nicht durch eine einfache Alterität zu Amerika definieren können oder umgekehrt, weil das eine viel zu sehr im anderen ist, so daß sich nicht die Identifikation durch Alteritätskonstruktion auf einem höheren Niveau fortsetzt. Vielmehr geht der Konflikt um die Form eines dritten Weltverfassungsniveaus - um an den schon genannten Konstruktionsstrang wieder anzuknüpfen - wie nämlich hegemoniale Marktordnung und ein abgestufter globaler Regionalismus in ihrem Widerspruch führende Gesellschaften und Zivilisationen wie die Weltgesellschaft formatieren können.<br /><br />Das zweite Hegelsche Motiv, das mit der Globalisierung wieder an Interesse gewinnt, ist die alte fast schon ausgeleierte Unterscheidung von Staat und bürgerlicher Gesellschaft. Mit einer&nbsp; neueren institutionalistischen&nbsp; Interpretation dieses Verhältnisses kann man sagen, daß Hegel zwischen einer sich selbst in einem minimalen, aber unverzichtbaren Staat organisierenden bürgerlichen Gesellschaft und einem Staat unterscheidet, der gesellschaftliche Einheit nicht vorfindet, sondern Aug in Aug mit sozialer Fragmentierung erst konstruiert. Unter den Bedingungen von Industriegesellschaft und nationalem Staat, die sich erst nach Hegel entfalteten, war die bürgerliche Gesellschaft, wie immer sie sich später individualisierte, an den differenzierten und egalisierenden Charakter industrieller Arbeit gefesselt und der allgemeine Staat an die historische Form der Nation. Mit der Globalisierung werden beide Fesseln locker, mit zunächst äußerst zwiespältigen Resultaten. Die middle classes verlieren in den Gesellschaften des Zentrums schon sehr an sozialstruktureller und technologischer Kraft, während sie in den nachholenden semi-peripheren Gesellschaften noch nicht die Breite, Dichte und Komplexität einer bürgerlichen Gesellschaft erreichen. Der Staat verliert mit seinen verringerten sozialstaatlichen Möglichkeiten auch die Kraft, die nationale Einheit der Gesellschaft zu konstruieren zum Ausdruck zu bringen. Im Prozeß der Zerstörung bilden sich allerdings zugleich bereits die Konturen globalerer Bürgergesellschaften und einer die Egalitätschancen der alten Arbeitsgesellschaft redifinierenden europäischen Staatlichkeit. Bei der Finanzierung kommunaler Sektoren, Bürgerarbeit, Grundeinkommen etc geht es darum und um nichts anderes, wie individualisiert sich die Akteure auch gebärden.&nbsp; Differenzierung durch feingegliederte Kapitalmärkte für Arbeit und Leben auf der einen Seite und fein abgestufte Gewalten- und Verantwortungsteilung zwischen Städten und Gemeinden, Ländern und Europäischer Union auf der anderen sind Erben des kreativen Widerspruchs von Staat und Gesellschaft. Auch hier wiederholt sich nicht die Identitäts- und Alteritätskonstruktion der bürgerlich-industriellen Klassen auf höherem Niveau, sondern es geht um eine dritte Formder Regelsetzung, bei der im Widerspruch erst entschieden wird und nicht durch rational choice oder Intersubjektivität.<br /><br />Das letzte Hegelsche Motiv, das uns heute interessiert, ist die Frage nach einer universalen Klasse, die weder von bürgerlichem Erwerbsgeist noch dem Kampf um Prestige bestimmt wird, einer jetzt globalen Elite, die Alternativen sortiert, präpariert und entscheidungsfähig macht. Mit der Globalisierung wächst - wie ich gerade formuliert habe - keine weltweite bürgerliche Gesellschaft, wohl aber ein globaler Massenindividualismus, der sich in asiatischen&nbsp; Familienökonomien, suburbanen amerikanischen Agglomerationen wie europäischen regionalen und lokalen Gemeinschaften einnistet. Gegenüber dieser heterogenen, heteronomen und fragmentierten Struktur gewinnen Eliten wiederum an Rang, die nicht mehr allein Funktionseliten sind, sondern Figurationseliten, die in gewisser Weise globale Planung betreiben, gegenüber gefährlicher Verarmung wie autoritärer Machtkonzentration sensibel sind. Ihr Gegenstück sind europa- und weltweite Initiativen, Boykotts, kurdische Staatsbildung im virtuellen europäischen Raum. Der Davos Man - darunter werden die Teilnehmer aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft gefaßt, die jährlich an der Weltwirtschaftskonferenz in Davos teilnehmen - steht für diese Elitenkonfiguration, ein Typus hierarchischer Ordnung, sensibler Macht und differenzierter Repräsentation, der Identifikation und Aggression gleichermaßen anzieht. &quot;What struck me, by contrast, this year was that Davos Man is a much more adaptable and robust species than critics of the global power elite have assumed. Davos Man may be hugely privileged and arrogant, but he is also flexible, realistic and cunning. History has shown that large inequalities of wealth, power and knowledge are a natural part of all human civilisations. But so are the resentments and rebellions that develop when these inequalities become too great. And what was most striking about the philosophy represented this year was the skill and attention which Davos Man is now deploying to keep these inequalities and resentments in balance, or at least in creative tension. By combining capitalism with advancing technology, political democratisation and a globalised culture. Davos Man is creating a much firmer framework than any previous universalist ideology has enjoyed. But, far more importantly, Davos Man is making sure that this framework is flexible enough to bend before it can break. The main reason for the sense of calm consensus and self-assurance this year at Davos has probably been the tide of ideological moderation which has swept the entire Western world. Every major capitalist country is now ruled by a left-of-contre government committeed to some variant of welfare capitalism. Gone is the harsh rhetoric of Thatcherism and Reaganomics. Welfare safety nets are now universally accepted. But so are the tax cuts, the free- market policies and the technological progress which have made Davos Man even richer than ever before.&quot; Diese Klasse erscheint hier viel einheitlicher als sie ist, denn tatsächlich bereitet sie sich auf die Austragung von Strukturwidersprüchen vor - mehr als das Zitat andeutet. Die Vorstellungen zur zukünftigen Finanzarchitektur der Welt bis zur globalen Verfassung von Bio- und Gentechnologien gehen weit auseinander, so daß tendenziell von zwei Elitenformationen gesprochen werden kann, die ich selbst Macht- und Werteliten nenne. Unter der Oberfläche globaler Verhandlungssysteme ist der Kampf der Eliten geradezu brutal geworden - &quot;eine Welt des verbissenen Wettbewerbs&quot;, wie der französische Außenminister Vedrine die Lage vor kurzem beschrieben hat.<br /><br />Die Spannung zwischen Hegemonial- und Regionalprinzip, die Spannung zwischen geld- bzw. kapitalvermittelter globaler Differenzierung auf der einen und politischer Gewalt- und Verantwortungsteilung der lokalen, regionalen und transnationalen Niveaus auf der anderen Seite und schließlich die Spannung zwischen verschiedenen globalen Elitetypen auf der Basis zu erwartenden populistischen Protests - unsere drei auf den Stand der Dinge gebrachten Hegelschen Motive - machen deutlich, daß Globalisierung weder ein mächtiger, aber unbestimmter historischer Prozeß ist noch der Behälter, in dem sich nationale Identitäts- und Alteritätskonstruktionen geworfen finden. Vielmehr bilden sich gerade bestimmte Identitäts- und Alteritätsbehauptungen im Widerspruch zueinander, strukturierte Widersprüche wie der zwischen Hegemonial- und Regionalprinzip, ökonomische und politische Differenzierung die Konflikt und Wahl auf einem dritten Verfassungsniveau zulassen. Der Schlüssel ist die europäische Frage, nämlich inwieweit es mit der Europäisierung Europas zugleich gelingt, auf den drei Feldern, die mit den Hegelschen Motiven bezeichnet worden sind, die Globalisierung zu verfassen. Eine Verfassung der europäischen Region, die zugleich nach innen und nach außen ein regionales weltgesellschaftliches Prinzip ausdrückt. Eine Differenzierung der Aufgaben von Städten, Regionen, Ländern und transnationalen Verbünden, die es mit der Differenzierungsleistung der Kapitalmärkte aufnehmen kann. Schließlich die Diversifikation demokratischer Elitenherrschaft und die Gewaltenteilung zwischen ökonomischen, politischen und kulturellen Sphären der Globalität. In allen drei Bereichen kommt ein übegreifendes Hegelsches Motiv zum Tragen, das bereits Marx an Hegel fasziniert hat, nämlich die Idee des Widerspruches. Nach der Globalisierung gelangt dieses Motiv Hegels, das sich noch gegenüber der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft der späten 50er Jahre sich fremd vorkommen mußte, wieder an Bedeutung. Die Globalisierung, die zunächst den Terror der Ökonomie überall hinzutragen schien, beschleunigte so wider Willen die Wiederkehr des Politischen, aber nicht als Intersubjektivität und Rivalität der Staaten und Gesellschaften, sondern als ein drittes Niveau unterschieden von Identität und Alterität.<br /><br />Mit der Globalisierung sind kollektive Identitäts- und Alteritätskonstruktionen in Bewegung gekommen, so daß verschiedene dritte Niveaus zur Aushandlung ihrer Bildungsprozesse notwendig werden. Diese Art von Identitäts- und Alteritätskonstruktion unterscheiden sich von zwei anderen. Die pragmatische Konstruktion von Identität und Alterität, etwa von Mead ausgehend, gelangt kaum zu Strukurwidersprüchen, wohl aber zur Reflexion dritter Niveaus wie Markt und Recht. Und wenn wir mit Dewery pragmatisch weiter argumentierten, wird der historische Rahmen der amerikansichen Gesellschaft in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts für diese Reflexion von Identität und Alterität sichtbar. Mehr ist auf diesem Weg nicht möglich.<br /><br />Auf der anderen Seite unterscheider sich unser Vorgehen von dem Versuch, die &quot;Macht der Vereinigung&quot; zurückzugewinnen - den Habermas für das eigentliche Motiv Hegels hält. Aber die Leistung der Identität, &quot;in der Wendung zur Welt sich selbst zu sein&quot;, kann auf dem Niveau von Gesellschaft auch von Systemen übernommen werden. So hat Habermas schon Luhmanns Einwand verfeinert. Das gilt auch für Alterität. Vereinigung ist so schwierig.<br /><br />Für gegenwärtige - durch Globalisierung bedingte - offene kollektive Identitäts- und Alteritätskonstruktionen gilt eine Zwischenlage: Identitäts und Alterität müssen sich auf dritten Feldern bewähren, wie dem Widerspruch von Hegemonialität und Regionalität, Kapitalmärkten und Arbeistgesellschaft, Macht- und Werteliten.<br /><span class="discreet"><br />Vortrag auf der II. Jahrestagung des SFB 541 Identitäten und Alteritäten, Februar 1999.</span></p>