Sie sind hier: Startseite Personen Wolfgang Eßbach Forschungsbericht über "Naturale …

Forschungsbericht über "Naturale und artifizielle Alteritäten: Landschaft, Geschlecht, Artefakte"

Weitere Angaben:

Teilprojekt C1 im SFB 541
"Identitäten und Alteritäten.  Zur Funktion von Alterität für die Konstitution und Konstruktion von Alterität" an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Bewilligungszeitraum Juli 1997 - Juni 2000
Stand: Dezember 2000

 

Inhaltsverzeichnis
  1. Lehrveranstaltungen seit SoSe 2003
    1. WS 2009/10
    2. SS 2009
    3. WS 2008/09
    4. SS 2008
    5. WS 2007/08
    6. SS 2006
    7. WS 2005/06
    8. SS05

 1. Allgemeiner Überblick

Im Rahmen des Projekts wird untersucht, wie Alteritäten zwischen Personen und Sachen bzw. Menschen und ihren naturalen Lebensvoraussetzungen strukturiert sind und wie die in diesen Bereichen konstruierten Andersheiten als Mittel, Symbol oder Vorwand zur Selbst- und Fremdabgrenzung von Gruppen fungieren. Die Klärung dieser grundlagentheoretischen Fragen soll in drei Dimensionen erfolgen, die als systematische Eckpunkte zugleich Grenzfälle von naturaler und artifizieller Alterität ausmachen: Menschliche Kollektive verwandeln die natürlichen Räume, die sie besiedeln, in kulturell kodierte Landschaften, sie polarisieren oder nivellieren in ihren geistigen Konstrukten die körperliche Alterität der Geschlechter, und sie geben sich im Umgang mit sächlichen Artefakten Definitionen ihres besonderen Andersseins.  "Nichtmenschliche" Alteritäten sind - so der Grundgedanke des Teilprojekts - in entscheidendem Maße an der Konstitution und Konstruktion von Identitäten beteiligt. Von besonderem Interesse ist dabei die Verflechtung und Zusammenschau der drei Dimensionen.
Ziel des Teilprojekts ist es, auf dem Wege einer exemplarischen und vergleichenden Analyse der Bereiche Landschaft, Geschlecht, Artefakte Modi von Alterität zu eruieren, die nicht auf der für die reine Sozialwelt hypostatisierten gleichen Augenhöhe liegen, aber in symbolischer und praktischer Hinsicht für die Konstitution und Konstruktion von Identität von Bedeutung sind. Die  Rolle von Landschaftsverhältnissen, Körperbeziehungen und Artefaktbezügen in identifikationsstiftenden Prozessen gilt es zu bestimmen.
Die thematischen Felder, die in den drei Bereichen zur Untersuchung stehen, sind forschungsstrategisch bedeutsam und bringen für die Integration der Teilprojekte des SFB einen Gewinn. Im Bereich Landschaft wird anhand von Projekten großräumiger Landschaftsgestaltung seit dem 18. Jahrhundert erforscht, in welcher Weise die praktischen und symbolischen Kodierungen, die in solchen Projekten zum Tragen kommen, mit Prozessen sozialer Identitätsbildungen verflochten sind. Welches anthropologische Selbstverständnis geht in die besonderen Bestimmungen der Dichotomie von Natur und Kultur ein, und welche Mechanismen der In- und Exklusion bewirken kollektive Identitätsbildungen ethnisch-nationaler oder auch sozialstratifikatorischer Art? Aufgenommen wurden solche Fragen auch hinsichtlich klimatheoretischer und anthropologischer Überlegungen im Kontext der Überseefahrten im 18. Jahrhundert. Im Bereich Geschlecht wurden in einer ersten Phase die historischen Transformationen in der Diskursivierung der Geschlechterdifferenz in der bundesrepublikanischen Diskussion aufgearbeitet. Daran anschließend werden identitäts- und differenztheoretische Fassungen des Geschlechterverhältnisses auf ihre ethisch-praktischen Implikationen und Anschlußmöglichkeiten geprüft. Der Fokus liegt dabei auf unterschiedlichen Konzeptionen, Postulate von Gerechtigkeit und solidarischer Gemeinschaft auszuweisen. Ein weiterer Schwerpunkt fragte mit Blick auf Phänomene wie Transsexualität oder Symbiosen von Technik und Körper nach den Formen und Wirkungen geschlechts- und körperzentrierter Praktiken, in denen Subjekte ihre jeweilige Identität konstruieren. Im Bereich der Artefakte legte eine fundierte Auseinandersetzung mit dem in kultur- und sozialwissenschaftlichen Diskussionen sehr einflußreichen medientheoretischen Paradigma die Aporien einer solchen (post)modernen Form technikdeterministischer Argumentation offen. Daran knüpft eine kultursoziologisch fundierte Geschichte des Computers, seiner immateriellen und materiellen Komponenten, an, die die Effekte medialer Transformationsprozesse ernst nimmt, ohne in medientheoretische Hypostatisierungen zu verfallen. Untersucht werden die mit der Computergenerierung verbundenen Verweisungen zwischen anthropologischer Selbstdeutung und technisch implementierter Symbolverarbeitung sowie alltagspraktisch an das Medium anschließende Formen der Lebenstildifferenzierung. Weitere Schwerpunkte der Forschung gelten anthropologischen Technikthematisierungen und historischen Erscheinungen des Zusammenhangs von Technikentwicklung und Weltbildkonstruktion. Projektübergreifende Studien fragen im Schnittfeld von wissenschaftlichen und populären Thematisierungen und Gebrauchsweisen von Techniken nach den je spezifischen Effekten für die Konstitution von Selbst- und Weltverhältnissen. Thematisch stehen hier zur Untersuchung die Raum-, Technik- und Körperbezüge individueller und kollektiver Akteure wie sie historisch mit den Praktiken der Psychotechnik und frühen Radiokonzepten hervorgerufen wurden sowie aktuell in den Diskursfeldern von Science Fiction, New Age und Neostrukturalismus entworfen und in den technischen Installationen von Science Parcs vermittelt werden. Der dem gesamten Teilprojekt implizite grundlagentheoretische Spannungsrahmen zwischen "realistischen" und "konstruktivistischen" Auffassungen wurde auf mehreren thematischen Feldern (dem Begriff der Grenze, der Genese von Schuld, der Aufarbeitung unterschiedlicher anthropologischer und techniktheoretischer Modelle) explizit entfaltet.
In methodischer Hinsicht werden im Horizont von Kultursoziologie und historischer Anthropologie kultur- und sozialwissenschaftliche Vorgehensweisen unterschiedlicher Provenienz verknüpft. Erprobte Verfahren wie diskursanalytische Perspektivierungen und dekonstruktivistische Denkbewegungen werden mit neueren methodischen Konzepten verbunden, die mit dem Begriff Akteur-Netzwerk-Theorie" bezeichnet sind, und den Versuch unternehmen, konstruktivistische Wissenschaftstheorie und Ethnomethodologie zusammenzuführen. Das methodische Interesse gilt dabei der Frage, wie sich das Verhältnis von praktischen Umgangsweisen und symbolischen Kodierungen naturaler und artifizieller Alteritäten konzeptionell fassen und empirisch in je besonderer Weise beschreiben läßt: In welcher Form verweisen Landschaftsbeschreibungen und materiale Inschriften in die Landschaft, Hinweise auf körperliche Merkmale und geschlechtsspezifische Lebenspraktiken, die Technisierung der Symbolverarbeitung und die symbolische Kodierung -dieses Vorgangs aufeinander? Gerade weil Diskurse, Praktiken und erfahrene Wirklichkeiten nicht bruchlos zu denken sind, werden Fragen nach ihrer Archäologie in doppelter Richtung gestellt: Wie werden kulturellen Kodes materielle - landschaftliche, körperliche und technische - Formen verliehen, und wie werden aus solchen Formierungen Aussagen über Sachverhältnisse - natur- und sachbedingte Regeln, Normen sowie praktische Anleitungen - extrapoliert? Die methodische Leitfrage des Teilprojekts lautet: Wie entsteht in solchen rekursiven Konstruktionsprozessen der Wahrheitswert fixierter, kohärenter Identitäten und Alteritäten?

2. Die einzelnen Forschungsfelder

2.1 Landschaft

Im diesem Bereich arbeitete Stefan Kaufmann für sein Projekt "Artifizielle Landschaften. Großprojekte moderner Raumgestaltung in kultursoziologischer Perspektive" zentrale konzeptionelle Weichenstellungen in methodisch-theoretischer und thematischer Hinsicht aus-. Auf beiden Ebenen galt es, die interdisziplinären Perspektivierungen - geopolitischer, ökologischer, sozialgeographischer, postmarxistischer, strukturtheoretischer und geohistorischer Art - aufzuarbeiten und Konzeptionen zu entwickeln, die in grundlegender Weise geeignet sind, die Vielschichtigkeit sozialer Landschaftsbezüge zu erschließen. Methodisch erforderte dies erstens eine Konzeption, die prinzipiell offen ist für unterschiedliche symbolische und praktische Kodierungen, wie sie sich in der historischen Transformation des Landschaftsbegriffs überlagern, dessen Bedeutung sich von politischer Herrschaft über die symbolische Repräsentationsform des Gemäldes und ästhetisch-kontemplativ erfahrene Naturzusammenhänge bis hin zur kulturellen Prägung von Naturräumen erstreckt. Zweitens impliziert dies, die Frage nach prinzipiellen Möglichkeiten der Konzeptionalisierung des Verhältnisses von Natur zu Kultur aufzunehmen, und drittens bedeutet dies, hinsichtlich der Fragestellung des gesamten Teilprojekts Anschlüsse für Themen körperlicher und artifizieller Alterität zu eröffnen. Aufnehmen ließ sich das methodische Problem in exemplarischer Weise mit der Auseinandersetzung zwischen dem Geographen Friedrich Ratzel und Emile Durkheim. Gegen die dabei formulierten Tendenzen, das ungebrochene Durchschlagen naturaler Gegebenheiten in soziale Verhältnisse in Ratzels Argumentation gegenüber einer radikalen Entkoppelung beider Sphären in Durkheims Repliken, entwickelte Lucien Febvre - einem der Väter der Annales-Historiographie - ein Erklärungskonzept,  dem er die Kategorie wechselseitiger Beziehungen zugrunde legt. Ein Konzept, dessen vielschichtige Dimensionen sich schließlich in Fernand Braudels materialer Arbeit zum Mittelmeer wider-spiegeln. Dieser entwirft stets schon kulturell kodierte Landschaften, Amalgame aus stofflichen Eigenschaften und ihrer sozialen Formierung, bei denen sich etwa schon die simple Gestalt des Meeres, seine Größe und seine Gliederung, durch Schiffahrtswege, politische Zugriffe, kulturelle Symbolisierungen, kartographische Repräsentationen, sinnlich-ästhetische Perzeptionen usw. determiniert zeigt. Gerade an Braudels materialen Deskripitionen läßt sich exemplarisch ausweisen, daß und in welcher Weise Ort, Territorium und Landschaft sich generell als Artefakte thematisieren lassen. Die im Rahmen einer Soziologie der Sachen etablierten analytischen Verfahren bieten schließlich ein verfeinertes Instrumentarium, um die grobe Bestimmung wechselseitiger Beziehung als verschiedene relationale Modi zu präzisieren. Landschaft ist folglich nicht als kompakte Alterität zu beschreiben, nicht als "Objekt", sondern in Kategorien relationaler Bezüge zu verhandeln (vgl. zu diesen methodischen Überlegungen: Kaufmann 1999b). Diese methodische Konzeption ist - im Gegensatz zu Postionen, die an einer ontologischen Scheidung in Natur und Kultur festhalten - durchaus kompatibel mit Konzepten postmarxistischer (bei Henri Lefebvre) und postmoderner Geographie (Derek Gregory), die untrennbare Verwebungen materieller, symbolischer und imaginärer Orte und Landschafen entwerfen. Thematisch untersucht das Projekt an Exempeln großräumiger Landschaftsgestaltung vom 18. bis zum 20. Jahrhundert wie sich im gleichen Zuge, in dem soziale Entwürfe sich in Landschaften einschreiben, soziale Beziehungen versachlichen und damit in gewisser Weise naturalisieren. Vier historische Formierungen der Landschaftskonzeption - der absolutistische Park der französischen Klassik, die Entstehung des amerikanischen Grid-Systems, Exempel der ingenieur-technischen Erschließung kolonialer Räume und die Formierung einer globalen Umwelt am Beispiel des Ozonlochs - stehen zur Untersuchung. Die Folgen solcher Landschaftsformierungen für kollektive soziale Identitäten lassen sich am Beispiel des amerikanischen Grid-Systems skizzieren. Diesem Versuch, den nordamerikanischen Kontinent von den einzelnen Grundstücken über lokale Verwaltungseinheiten bis zu den Bundesstaaten in Planquadrate zu teilen, lag der Gedanke zugrunde, Gesellschaftsordnung und Landschaftsstruktur auf einen Nenner zu brin-gen. Die räumliche Ordnung und die mit ihr etablierten Besitzverhältnisse sollten die Basis einer demokratischen Gesellschaftsordnung bilden, Garant dafür, daß der Mensch auch in einem Flächenstaat moderner Prägung seiner antiken Bestimmung als zoon politicon gerecht werden könne. Im Kontext naturästhetischer und naturerforschender Praktiken wurde Amerikas Landschaft nicht allein zentraler Bezugspunkt politischer Projekte, sondern auch nationaler Selbstdefinition und kultureller Absetzbewegungen von Europa. Identifikationen, die bekanntlich eines ausschlossen: Amerikas ursprüngliche Einwohner und nomadi-sierende Lebensweisen konnten keinen Platz finden, sie mußten zu "raumfremden Elementen" werden (vgl. zum amerikanischen Grid-System Kaufmann 1999a).
Weitere Aspekte der Landschaftsdimension, die in den Blick genommen wurden waren die frühneuzeitliche Seefahrt und die Landschaftsbeschreibungen im Kontext der "Entdeckung der Wilden". Am Beispiel der frühneuzeitlichen Seefahrt konnte gezeigt werden, daß und wie kulturelles Selbstverständnis und bestimmte Formen der Raumerfassung ineinander spielen. Der naturbedingt risikoreiche Aufbruch zur Überseeschiffahrt läßt sich plausibel in gleichem Maße als Effekt wie als tragendes Element des protestantischen und wissenschaftlich-technischen Ausbruchs aus traditionellen Pfaden deuten (Paul 1998). In welchem Maße sinnlich-ästhetische Momente für die Bewertung von Fremde und Fremden maßgeblich sind, läßt sich an den unterschiedlichen Funktionen demonstrieren, die die klimatheoretische Deutung von Landschaft und stereotypen moralischen Festschreibungen fremder Ethnien im Zuge der europäischen Expansion vom 16. bis zum 18. Jahrhundert durchlief (Kaufmann 1999c).

2.2 Geschlecht und Körper

Nadja Parpart legte in ihrer Dissertation "Geschlecht und Kontingenz. Zur Zerstreuung des anderen Geschlechts im Feminismus" sowie daran anknüpfenden Aufsätzen historisch und systematisch die diskursive Bearbeitung der Geschlechterdifferenz in der Frauen- und Geschlechterforschung seit den 70er Jahren dar (Parpart 2000, 1999a, 1999b). Eine erste Position stellt eine enge Verbindung von Wissen, Politik und einer am und im Körper haftenden Natur des Geschlecht her. Die körperliche Differenz der Geschlechter wird hier als fundamentale Alterität interpretiert. Das Geschlecht, wie es eine poli-tisch motivierte Frauenforschung ins Spiel bringt, wird zur epistemologischen Kategorie, es wird zur Bedingung eines spezifischen Wissens. Die Frau als das andere Geschlecht, so das Postulat der Frauenforschung, bringe auch ein anderes Wissen hervor. Das Wissen der Unterdrückten, derjenigen, die von der herrschenden Wissensproduktion ausgeschlossen sind, beansprucht eine Art Wahrheitsprivileg für sich. Für die andere Qualität weiblicher Wahrheit bürgt die spezifische Nähe der Frau zur Natur. Weibliche Identität wird in Praktiken der körpervermittelten Selbsterfahrung gesucht, und als potentiell fruchtbar, zu authentischer Sinnlichkeit und Körpererfahrung befähigt, verkörpert die Frau das verdrängte Andere der durchrationalisierten Kultur. Politisch bedeutet dies, zu fordern, diese andere Form des Wissens, eine bessere Vernunft, ein besseres Selbst- und Weltverhältnis in die Kultur einzubringen, Frauen die Partizipation an Öffentlichkeit, Politik, Arbeit und Wissenschaft zu eröffnen. Eine zweite - seit den 90er Jahren dominierende - Position löst als Ergebnis einer theoretischen Dekonstruktion der Geschlechtsidentität diese Verbindung von Wissenschaft, Politik, Geschlecht und Körper gänzlich auf. In dem Maße, in dem eine Frauenforschung sich etabliert, brechen die einheitlichen Zuschreibungen und Grenzziehungen zwischen Frauen und Männern auf. Die Positionen von Unterdrückte versus Unterdrücker weichen einer Perspektivierung von Geschlechterrelationen, und überdies treten die Differenzierungen innerhalb des weiblichen Geschlechts, v.a. die kulturellen und Statusunterschiede zwischen Frauen der "Ersten" und der "Dritten" Welt, in den Blick. Die identitätsstiftende Positionierung der Frau als das Andere des Mannes zerbricht, das Geschlecht wird als theoretische Kategorie unzuverlässig und verliert als politischer Einsatz an Schlagkraft. Eine identitätsfixierte Frauenforschung wandelt sich schließlich zur Geschlechterforschung. Als letzte Form von Identitätsfixierungen gerät auch die Annahme einer natürlicherweise am Körper haftenden Differenz der Geschlechter in Frage. Geschlechterdifferenz wird nicht mehr als natürlich gegebene, sondern als sozial gemachte, nicht als immer schon vorfindliche, sondern als kulturell zum Einsatz gebrachte verstanden. Nicht mehr die Frage nach der Wahrheit des Geschlechtes - so läßt sich resümieren - steht auf der Tagesordnung, sondern die Frage nach der Art und Weise, wie geschlechtliche Identitäten entworfen werden. Parparts systematische Aufarbeitung der Geschlechterforschung mündet in die Frage, ob der Feminismus im Zeichen der theoretischen Auflösung des Geschlechts nun tot sei oder wie eventuell in neuer Weise ethisch-politisch an feministische Positionen angeschlossen werden kann.
Diese Frage greift Dietmar Wetzel in seinem Dissertationsprojekt "DiskursWelten des Ethisch-Politischen. Studien zur Gerechtigkeit, zum Geschlechterverhältnis, zur Gemeinschaft und zum Dritten in der postmodernen Gesellschaft" auf. Wetzels Arbeit kontrastiert an den Themen Gemeinschaft, Gerechtigkeit und Geschlechterverhältnis jeweils rekonstruktive und dekonstruktive Diskursformationen der gegenwärtigen Diskursgeschichte. Anders ausgedrückt: identitäts- und alteritätsorientierte Verfahrensweisen werden hinsichtlich ihrer grundlegenden ethisch-moralischen Positionierungen wie auch ihrer - expliziten oder impliziten - politisch-praktischen Postulate untersucht. Dabei wird dem Dritten/Tertiären eine grundlegende Rolle im Übergang von außer-ordentlichen (etwa in der Ich-Anderer-Beziehung) zu ordentlichen Bezügen (vermittelt über Recht, Markt, Politik) zugeschrieben. Die Thematisierung des Geschlechterverhältnisses, mit der unterschiedliche Positionen innerhalb des Feminismus in Relation zu anderen Diskursen, der Habermasschen Diskursethik, dem kommunitären Liberalismus Walzers und dem Dekonstruktivismus von Emmanuel Lévinas und Jacques Derrida gesetzt werden, führt zu einer doppelten Perspektivierung. Einerseits wirft die Art und Weise, wie diese Denktraditionen auf das Verhältnis bzw. die Differenz zwischen den Geschlechtern reflektieren, inwieweit eine solche Reflexion in ihre grundlegenden Kategorien eingelassen ist oder eben auch nicht, ein bezeichnendes Licht auf diese Konzeptionen. Andererseits steht zur Untersuchung, wie feministische Denkerinnen an zwei Schlüsselbegriffen dieser Diskurse, Gerechtigkeit und Gemeinschaft, einhaken. Thesenhaft skizzieren läßt sich, daß differenztheoretische Positionen den Begriff der Gerechtigkeit, der identitätsorientiert sowohl als Gleichstellung als auch als solidaritätsorientierte Anerkennung interpretiert wurde, um den Begriff der Fürsorge, um die Aspekte der auch leiblich gespürten Sympathie für den Anderen, der Anteilnahme, der Sorge ums gute Leben und damit insgesamt um den Begriff der moralischen Gefühle erweitert haben. Analog begreifen sie Gemeinschaftsbildung nicht mehr im Sinne natural begründeter Nachbarschaft (Kommunitarismus), sondern als stets neu zu begründende und variierende Kultivierung von Andersheit - nicht in grundlegender weiblicher Identität wird Gemeinschaft gesucht, sondern in situationsspezifischen Relationen zwischen und innerhalb der Geschlechter. Gemeinschaft wird - im Anschluß an Jean-Luc Nancy - als stets zu dekonstruierendes Konzept begriffen und als offener Prozeß anvisiert. Auch "nach" - und gerade aufgrund - der dekonstruktivistischen Auflösung des homogenen Geschlechterdiskurses - so zeichnet sich als ein Ergebnis ab - kann mit Postulaten, die sich feministischen Positionen verdanken, sehr wohl ethisch-politisch interveniert werden.
Ein weiterer Schwerpunkt im Bereich Geschlecht und Körper widmete sich vor allem den gegenwärtigen technischen Bedingungen, unter denen Subjekte in geschlechts- und körperzentrierten Praktiken ihre spezifischen Formen des je Andersseins hervorbringen. An einem der signifikantesten Exempel des Spiels mit der Geschlechterdifferenz und der Offenheit geschlechtlicher Konstruktion, dem Phänomen der Transsexualität, konnte auf die Ambivalenzen offener Identitätsbildungen verwiesen werden (Kaufmann 1999a). Stellt gerade dieses Phänomen gängige Selbstverständnisse über die Körperverhaftung, Naturgegebenheit und Unveränderbarkeit von Geschlechtsidentitäten in Frage, so geht diese Offenheit unter den Bedingungen gegenwärtiger medizin- und operations-technischer Machbarkeiten mit neuen Zwängen einher: Wer soziale Anerkennung im anderen Geschlecht sucht und dieses authentisch vorstellen will, kommt nicht umhin, sich komplizierten Operationen zu unterwerfen, um sich die körperlich-naturale Basis seiner Geschlechtsidentität zu beschaffen. Ein weiteres Thema wurde in mehrfacher Hinsicht ausgearbeitet: Die in Visionen einer Perfektionierung menschlicher Körper durch die Einverleibung künstlicher Elemente eingelassenen Bilder menschlichen Selbstverständnisses (Bellanger 1999, Fohler 1999, Spreen 1997c, 1998b, Zur Nieden 1999). Im Blick stand dabei vor allem die Figur des Cyborgs. Die Perfektionierung mensch-licher Körper durch technische Ankoppelungen, durch organische Trans- und künstliche Implantate, für die die Figur des Cyborg steht, schlägt sich spätestens seit der Erfahrung des Maschinenkriegs im Ersten Weltkrieg in gleichem Maße in wissenschaftlich-technischen Konstrukten wie in politischen Entwürfen und literarisch-künstlerischen Projektionen nieder. Eine Archäologie solcher Praktiken, Entwürfe und Projektionen bringt zu tage, daß diesen eine anthropologische Zuschreibung zugrunde liegt, die den Menschen als Mängelwesen bestimmt. Ein Wesen, dessen Mängel im Körper zu verorten sind und dessen Symbiose mit technischer Alterität eben diese Defekte aufzuheben verspricht. Genau darin, so läßt sich plausibel machen, verbirgt sich ein uneinholbares Postulat: Vollkommenheit zu erreichen, indem das Andere, die Technik, zum Eigenen gemacht wird. Ein Prozeß ständig erweiterter (Selbst)Normierung, neuer Bilder von Leistungsfähigkeit, Gesundheit, Schönheit, als Konsequenz einer Suche nach totaler Identität durch unvermittelte Einverleibung des Künstlichen. Neben dieser Ausarbeitung einer verborgenen hermetischen Identität in diesen Projekten stand zugleich die Suche nach Spuren anderer anthropologischer Entwürfe, die Frage, inwiefern sich offene, exzentrische Konzepte (hierzu: Fohler 1998) mit einer Technisierung des Leibes verbinden lassen. Als Resümee dieser Studien bleibt die offene Frage, ob der Cyborg möglicherweise die Chance birgt, gerade etwa hinsichtlich tradierter Geschlechtsidentitäten, überkommene Festschreibungen zu unterwandern, Identitätsgrenzen und Alteritätszuschreibungen zu öffnen und generell offen zu gestalten.

2.3 Artefakte

Dierk Spreen setzte sich in seiner Dissertation "Technik, Tausch, Krieg. Die Geburt der Gesellschaft im technisch-medialen Apriori" in fundamentaler Weise mit dem medientheoretischen Paradigma, dessen Theoreme in den Sozial- und Kulturwissenschaften weite Verbreitung gefunden haben - wovon schon allein die Nennung der Referenzautoren Marshall McLuhan, Jean Baudrillard, Vilem Flusser, Paul Virilio und im deutschsprachigen Raum Friedrich Kittler zeugt - auseinander (Spreen 1998a). Deren "technisch-mediales Apriori" besagt, daß technische Vermittlungsinstanzen gesellschaftlichen, kulturellen und epistemologischen Strukturen vorausgesetzt sind, Mediatisierungsschübe folglich als dramatische und fundamentale Umwälzungen zu begreifen sind. Diese Annahme unterzieht Spreens Archäologie der Medientheorie einer grundsätzlichen Kritik, indem es ihr gelingt, dieser eine überraschende Genealogie und zahlreiche Aporien nachzuweisen. Die Genealogie verweist auf ein zentrales Problem der Moderne, das mit der Aufgabe eines theologisch verbürgten Zusammenhangs virulent wurde: das der Vermittlung. Was Medientheorien allein technisch-medialen Installationen zuschreiben, nämlich der große Vermittler zu sein, war schon mehrfach anders besetzt:  Medialität ging ihrer Technisierung voraus. In der politischen Ökonomie sind der Warentausch (Adam Smith), die Entfaltung der Produktivkräfte und die gesellschaftliche Arbeitsteilung (Marx), systematische Organisation (Saint-Simon) oder auch die Transporttechniken (Friedrich List) die großen Kandidaten, die die Position des Vermittlers einnehmen. Als Geburtsstätte der Medientheorie konkret ausweisen läßt sich Adam Müllers romantische Theorie der Produktivkräfte, die den Formen symbolischer Vermittlung, den Kommunikationsverhältnissen, das Primat gibt, indem sie Vermittlungsleistungen als Produktivkraft deutet. Genau diese Variante Müllers, die die Kraft der Vermittlung gegen eine auf Herstellungsprozesse gegründete Werttheorie betont, wird das Muster moderner Medientheorien. Insofern läßt sich auch deren dramatische Rede vom "Tod des Menschen" im Zeichen digitalisierter Netze als Wiederholung seines Todes in der Entfremdung lesen. Eine Rede, die von der Erfahrung zweier sich totalisierender Kriege geprägt ist, in denen die Dominanz technischer Vermittlung ihre Wurzel hat. Die zweite kritische Stoßrichtung durchläuft systematisch die Probleme, die sich ergeben, wenn man ein stringent gelesenes, d.h. geschlossenes, technisch-mediales Paradigma an den Schnittstellen analysiert, an denen seine (möglichen) Außenseiten ins Spiel kommen. Im Bereich der Geschichte verfolgt es eine implizite Geschichtsphilosophie, die immer schon sich selbst generierende Technik voraussetzt. Ähnlich auch wird die Frage nach der Konstruktion und der Referenz beantwortet: Nicht Menschen konstruieren Medien, sondern immer nur medial dominierte Zusammenhänge; Medien beziehen sich auch nicht auf ein Außerhalb, sondern verweisen - nach McLuhans bekanntem Diktum - immer nur auf andere Medien. Ein Verweisen, das nicht anders als Adam Müllers unabschließbare Vermittlungstätigkeit interpretiert werden kann. Selbst der körperliche Anschluß wird in ganz besonderer Weise als Schnittstellenwanderung bewältigt, indem technisch-mediale Apparaturen immer weiter in den Körper hineinwandern. Nimmt man diese Kritik ernst, dann läßt sich nicht, wie üblicherweise in soziologischer Medienkritik, die Gesellschaft ins Spiel bringen, um die Anschlußprobleme angemessen, d.h. im Sinne offener Anschlußmöglichkeiten, zu lösen. Auch "Gesellschaft" scheint eher eine Figur unabschließbarer Vermittlungen zu sein, die tautologisch auf sich selbst zurück verweist. Das Soziale, so läßt sich dagegen halten, kann nicht neben oder außerhalb von Tausch und Technik angesiedelt werden - begrenzt wird sein Feld überdies von einer dritten Seite. Folgt man nämlich den Spuren des Vermittlungsdenkens im frühen 19. Jahrhunderts, so taucht neben Tausch und Technik noch ein dritter Vermittlungsdiskurs auf: der Krieg. Die Erweckung des Sozialen wurde im Kontext der napoleonischen Kriege explizit als Waffe ins Spiel ge-bracht. Die enorme Aufladung des Gesellschaftsbegriff, seine Tiefendimension, die er von der Romantik bis in die moderne Sozialwissenschaften erhält, verdankt sich folglich seiner anfänglichen Bestimmung durch drei Diskurse großer Vermittlung: den des Tausches, den der Technik und den des Krieges. Gerade im Fall der Kriegstheorie allerdings läßt sich mit einem gegen den Strich gelesenen Clausewitz ein anderer Begriff des Sozialen gewinnen. Clausewitz thematisiert nicht eine Logik des Krieges, sondern eine Grammatik, in deren Rahmen die Entfachung sozialer Energien, nicht in einer symbolischen Tiefendimension, sondern in pragmatischer Hinsicht auf ihre Kriegstauglichkeit hin geprüft wird. Das Soziale wird hier in relationaler Wechselwirkung gefaßt, es wird, wie man mit Deleuze ausdrücken kann, zu einer "flachen Vielheit". Genau in dieser Form läßt sich ein Begriff des Sozialen einbringen, um technikdeterministische Diskurse zu entkräften oder besser gesagt: zu verflüssigen und zu öffnen - nicht aber mit dem Gegenbild eines Sozialen oder Humanen Aprioris.
Der historische Moment, an dem derartige medientheoretische Reflexionen, die das menschliche Selbst- und Weltverhältnis als medial determiniertes begreifen, virulent werden, fällt nicht zufällig mit dem Zusammentreffen von Computertechnologie und Medien zusammen. Genau  in diesem Kontext setzt Nadja Parpart mit ihrem Projekt "Zur Konstitution des Verhältnisses von Mensch und Maschine im Zeitalter informatischer Maschinen" an. Gegenstand des Projekts ist die Genese und Entwicklung der kulturellen Bedeutung des Computers, insofern dieser als Symbol für eine neue Dimension der Artifizierung der Lebenswelten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgefaßt werden kann. Der zentrale Gedanke besteht darin, daß sich im Zuge der Technikentwicklung das Verhältnis von Mensch zur Welt wie auch zu sich ändert, weil sich die Konstruktion und Konstitution der Wirklichkeit ändert. Drei Ebenen werden im Projekt verfolgt, auf denen fundamentale Wandlungsprozesse miteinander korrelieren: die der (computer)-technischen Entwicklung, die der Konstitution und Konstruktion von Gesellschaft sowie die der Formierung von Wissen.
Weitere Arbeiten forschen zu unterschiedlichen Spielarten der Technikthematisierung. Susanne Fohler untersucht "Diskurse zum anthropologischen Stellenwert von Technik" wie sie sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts herausgebildet haben. Für die Frage nach den Verhältnissen von Technik und Mensch lassen sich dabei systematische Zuordnungen gewinnen. Technik kann erstens als das Identische des Menschen gesehen werden. Ernst Kapps Thematisierung von Technik als Mittel für bestimmte Zwecke etwa folgt dieser Form von Identitätslogik ebenso wie seine Konzeption von Technik als Organprojektion. Zweitens kann Technik wie etwa bei Jacques Ellul als das radikal Andere des Menschen gedeutet werden. Sie gilt als autonome Sphäre, die nach reiner Effizienzlogik voranschreitet und schließlich das genuin Menschliche, die souveräne Entscheidung, völlig absorbiert. Eine dritte Zugangsweise, wie sie etwa Hans Blumenberg vorlegt, insistiert darauf, daß sich Mensch und Technik nicht apriori trennen lassen. Die Dichotomie von Technik und Mensch bleibt im Ungewissen und hinsichtlich neuer Technisierungsschübe oder neuer Technologien gilt es jeweils auszuhandeln, welche Modifikationen der Selbstreflexion damit verbunden sind, in welcher Form Materialisierungen humaner Potentiale stattfinden und was an Neuem, an Fremdem in die Welt gesetzt wird. Identität und Alterität von Mensch und Technik bleiben dergestalt variabel bestimmbar. Freilich gilt es, vor allem die Erklärungskraft dieser einzelnen Positionierungen noch zu spezifizieren.
Bernd Remmeles Projekt "Die Entstehung des Maschinenparadigmas" fragt danach, wie "Maschine" in der Frühen Neuzeit das Paradigma für eine allgemeine, Natur, Technik, Körper und Staat umfassende, Weltbildkonstruktion werden konnte. Die Erklärung leistet seine historisch-genetische Rekonstruktion in der Verbindung dreier aufeinander aufbauender Entwicklungsreihen: Erstens spielt die reale Maschinisierung eine zentrale Rolle bei der mit der allgemeinen Weltbildkonstruktion einhergehenden Reduktion der Phänomene; zweitens rückt die Maschine in eine paradigmatische Stellung ein, weil sich in ihr und an ihr ein weitreichendes dynamisches Konzept verkörpert und drittens ist die mechanistische Theorie von einer Interpretation des Maschinenparadigmas geprägt, die eine Übertragung dieses dynamischen Konzepts in weitere physikalische Bereiche nahelegt. Auszuarbeiten gilt es hier u.a. noch, ob und inwiefern sich das Maschinenparadigma gegenüber anderen identifikatorischen oder alteritären Bestimmungen, wie etwa Mensch - Medien, Mensch - Elektronengehirn, Mensch - Cyborg, in spezifischer Weise auszeichnet.
Ein Aspekt, der ganz im Gegensatz zur gängigen Technikthematisierung in einigen der Studien an prominenter Stelle rangiert, wurde überdies an einigen Fallbeispielen ausgearbeitet: die Verflechtung von Technik und Krieg. Diese Studien galten der Integration eines ursprünglich "zivilen" Mediums, des Telefons, in militärische Kontexte (Kaufmann 2000a), rüstungspolitischen Konzeptionen bei der Marine (Remmele 1997) und einer an methodischen Gesichtspunkten orientierten Synopse technikzentrierter Arbeiten zur Militär- und Kriegsgeschichte (Kaufmann 2000b).

2.4 Projektübergreifende und Grundlagenforschung

Die Arbeiten von Gereon Uerz ("Konstruktionen und Dekonstruktionen von Identitäten und Alteritäten in Science Fiction, New Age und Neostrukturalismus") und Silke Bellanger ("Wissenschaft goes Disneyland. Science Center als Orte der Wissenskonstruktion") bewegen sich im Schnittfeld von wissenschaftlicher und populärer Konstruktion und Thematisierung von Technik. Ausgehend von diesem Fokus werden auch übergreifende Bezüge zu den räumlichen und körperbezogenen Fragestellungen des Teilprojekts intensiv mit verfolgt. Gereon Uerz betrachtet Science Fiction, New Age und Neostrukturalismus als Medien, die strukturell unterschiedliche Möglichkeiten bereithalten, Modernisierungsbedingungen zu reflektieren, deren Produkt sie selbst sind. Als Medien entwerfen sie unterschiedliche Bilder der Vergangenheit, diagnostizieren die Gegenwart in anderer Weise und imaginieren Zukunft in unterschiedlicher Form. Insofern - und darauf liegt das Augenmerk der Untersuchung - fungieren sie als Medien der Vermittlung und Propagierung neuer technologischer Leitbilder, sowie der Bildung und Zerstreuung tradierter Geschlechtsidentitäten und anderweitig stimulierter individueller oder kollektiver Identitäts- oder Alteritätskonstrukte (vgl. auch Uerz 1999). In ähnlicher Weise fungieren auch die technischen Installationen der Science Center als Medien, die Wissen über Mensch, Technik, Natur und Körper zugleich hervorbringen und streuen. In ihren sozialen Funktionen, Kontexten und Inhalten nehmen sie eine Position zwischen Museum und Vergnügungspark ein. Der damit in der Wissensvermittlung implizierte Erlebnis- und Unterhaltungs-charakter läßt anders als in musealer Präsentation Wissen in neuer Weise entstehen. Die Mischung von Repräsentation und Praxis impliziert ein interaktives Moment, in dem Wissen nicht allein das Ergebnis kognitiver Leistung, sondern darin dominant präsenter, leiblich-sinnlicher Erfahrung und Selbsterfahrung wird. Das Wissen über naturale und artifizielle Alteritäten, so kann man als Grundmotiv festhalten, das beide Arbeiten ausformulieren, ist lokaler Natur, es ist an die Struktur der diskursiven und technischen Orte ihrer Entstehung gebunden.
Dominik Schrage ("Technokratische Subjektkonstruktion in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Kontext psychologischer Forschungsmodelle, medialer Öffentlichkeit und sozialtechnologischer Entwürfte") untersucht die Transformation des Selbst- und Weltverhältnisses im Kontext der sich in den Zwanziger Jahren herausbildenden Massenkultur anhand zweier exemplarischer Studien. Die erste bewegt sich dem Feld psychotechnischer Konstruktion von individuellen Identitäten, die zweite auf dem Feld medial initiierter kollektiver Gemeinschaft. Dabei greift die Psychotechnik, eine im Zuge der Rationalisierungsprogramme verbreitete Praxis von Eignungsuntersuchungen, auf die individuelle Psyche von Individuen in einer als technisch zu verstehenden Weise zu und verspricht, ein objektives Wissen über die Fähigkeitsstruk-tur der einzelnen bereitzustellen, welches, so die Programmatik der Psychotechnik, nicht nur der betrieblichen Rationalisierung, sondern auch der individuellen Lebensplanung zugute kommen soll (vgl. Schrage 1998). Das Radio hingegen stellt in den Zwanziger Jahren die avancierteste und erstmals eine gesellschaftliche Reichweite ermöglichende Medientechnologie dar. Mit technischen Mitteln wird der Raum des sinnlich (akustisch) Wahrnehmbaren erweitert. Es entstehen symbolische (Radio)Landschaften, die die Möglichkeit eröffnen, die spezifischen Radiowirkungen in ihrer massenhaften und simultanen Verbreitung in sozialtechnische Konzeptionen zur Generierung kollektiver Identitäten miteinzubeziehen (vgl. Schrage 1997).
Die in allen Projekten zum Tragen kommende grundlagentheoretische Ausrichtung wurde durch die Bemühungen von Wolfgang Eßbach, kohärente Integrationsebenen für die Bereiche Landschaft, Geschlecht und Körper sowie Artefakte zu entwickeln, gestärkt. Als günstig hierfür erwies sich das Begriffsfeld der "Grenze", an dem systematisch die Differenzen von raumbezogenen, körperbezogenen und artefaktbezogenen Grenzvorstellungen und Modellen aufgezeigt werden konnten (Eßbach 1998a). Am Beispiel der elementaren Gegenseitigkeitsbeziehungen der Gabe und Rache konnte die Differenz dingvermittelter und dingfreier Interaktion und ihre Bedeutung für die Identitäts- und Alteritätszuschreibungen in der Schuldgenese ein Stück weit erhellt werden (Eßbach 1998b). Schließlich konnte durch die Neulektüre älterer, vergessener philosophischer Anthropologie, durch die Auseinandersetzung mit technikgeschichtlichen Sequenzmodellen und der neueren Akteur-Netzwerk-Theorie der methodische Spannungsrahmen zwischen "realistischen" und "konstruktivistischen" Grundauffassungen weiterentwickelt werden (Eßbach 1999a, 1999c). 
Für die grundlagentheoretische Ausrichtung kann resümierend festgehalten werden, daß es mit den bisherigen Arbeiten gelungen ist, in systematischer Weise klar zu legen, mit welchen unterschiedlichen theoretisch-konzeptionellen Zugriffsweisen Verflechtungen von naturalen und artifiziellen Dingen mit Prozessen sozialer Identitätsbildung thematisiert werden. Deutlich gemacht wurde zumindest in Teilbereichen, wo die generellen Aporien und Probleme dieser unterschiedlichen Zugangsweisen liegen, mit welchen blinden Flecken sie einhergehen. Überdies erfolgten erste Weichenstellungen, die es erlauben, diese Aporien und Ausblendungen zu umgehen und zu einem methodischen Konzept zu gelangen, das die Stärken unterschiedlicher Analyseformen und Kritikweisen kombiniert.

3. Offene Fragen

Auf offene Fragen, die sich aus den abgeschlossenen und auch innerhalb der laufenden Einzelprojekte ergeben, wurde bereits verwiesen. Wichtiger aber ist, hier auf zwei Desiderate zu verweisen, die sich aus der Zusammenschau der unterschiedlichen Einzelstudien ergeben. Der erste Aspekt betrifft die Frage nach Möglichkeiten, einer methodischen und theoretischen Integration der Projekte. Hier führte der eingeschlagene Weg, postmoderne und poststrukturalistische mit anthropologischen Perspektiven zu kombinieren, zu ersten beeindruckenden Ergebnissen. Zu prüfen wäre, inwiefern dabei noch weitergehend die Konzepte der Akteur-Netzwerk-Theorie einbezogen werden können. Vor allem ist zu fragen, inwiefern diese im Kontext einer Analyse sinnlich-leiblicher Praktiken und ethisch-politischer Probleme jenseits der Technikthematik über analytisches Potential verfügen. Überdies ist zu prüfen, inwiefern Denkmodelle und Erkenntnisse der neueren Biowissenschaften für die vorliegenden kultursoziologischen Fragestellungen nutzbar zu machen sind.
Die zweite Ebene, auf der konzeptionelle Probleme bestehen bzw. auf der sich die allgemeinen konzeptionellen Probleme reflektieren, liegt in der enormen Kluft zwischen theoretischen Entwürfen über Natur, Geschlecht und Technik einerseits sowie empirischer Forschung bzw. praktischen Problemen andererseits. Auf den Abstand zwischen Theorie und praktisch-politischen Analysen in der Geschlechterforschung wurde bereits hingewiesen und eine nicht weniger große Lücke klafft etwa zwischen Medientheorie und empirischer Forschung.
Mit Arbeiten, die theoretische Entwürfe und lebensweltliche Effekte aufeinander beziehen, soll in der zweiten Projektphase ein Schritt getan werden, diese Lücke ein Stück zu füllen. Damit sollen nicht nur empirisch wichtige Sachbereiche erschlossen werden, zu erwarten sind darüber hinaus auch theoretische Rückschlüsse.