Sie sind hier: Startseite Personen Wolfgang Eßbach Forschungsbericht über "Naturale …

Forschungsbericht über "Naturale und artifizielle Alteritäten: Landschaft, Geschlecht, Artefakte"

Weitere Angaben:

Teilprojekt C1 im SFB 541
"Identitäten und Alteritäten.  Zur Funktion von Alterität für die Konstitution und Konstruktion von Alterität" an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Bericht der zweiten abschließenden Förderphase Juli 2000 - Juni 2002
Stand: Oktober 2001

Inhaltsverzeichnis
  1.  1. Allgemeiner Überblick
  2. 2. Die einzelnen Forschungsfelder
    1. 2.1 Landschaft
    2. 2.2 Geschlecht und Körper
    3. 2.3 Artefakte
    4. 2.4 Projektübergreifende und Grundlagenforschung
  3. 3. Offene Fragen

 

1. Ausgangsfragestellung und Kenntnisstand bei der letzten Antragstellung

Untersucht wurde, wie Alteritäten zwischen Personen und Sachen bzw. Menschen und ihren naturalen Lebensvoraussetzungen strukturiert sind und wie die in diesen Bereichen konstruierten Andersheiten als Mittel, Symbol oder Vorwand zur Selbst- und Fremdabgrenzung von Gruppen fungieren. Die Klärung dieser grundlagentheoretischen Fragen erfolgte in drei Dimensionen, die als systematische Eckpunkte zugleich Grenzfälle von naturaler und artifizieller Alterität ausmachen: Menschliche Kollektive verwandeln die natürlichen Räume, die sie besiedeln, in kulturell kodierte Landschaften, sie polarisieren oder nivellieren in ihren geistigen Konstrukten die körperliche Alterität der Geschlechter, und sie geben sich im Umgang mit sächlichen Artefakten Definitionen ihres besonderen Andersseins.
"Nichtmenschliche" Alteritäten sind - so der Grundgedanke des Teilprojekts - in entscheidendem Maße an der Konstitution und Konstruktion von Identitäten beteiligt. Von besonderem Interesse ist dabei die Verflechtung und Zusammenschau der drei Forschungsfelder. Das Ziel des Teilprojekts bestand darin, auf dem Wege einer exemplarischen und vergleichenden Analyse der Bereiche Landschaft, Geschlecht, Artefakte Modi von Alterität zu eruieren, die nicht auf der für die reine Sozialwelt hypostasierten gleichen Augenhöhe liegen, aber in symbolischer und praktischer Hinsicht für die Konstitution und Konstruktion von Identität von Bedeutung sind. Es gilt somit, die Rolle von Landschaftsverhältnissen, Körperbeziehungen und Artefaktbezügen in identifikationsstiftenden Prozessen zu bestimmen.
Das Teilprojekt war von Beginn an durch die Diagnose spezifischer Defizite in den einzelnen Forschungsbereichen motiviert: Der Bereich Landschaft stellte methodologisch wie empirisch ein bisher beinahe gänzlich vernachlässigtes Feld soziologischer Forschung dar. Im Bereich Geschlecht bzw. Körper lag hingegen eine breitgefächerte Literatur vor, die sich allerdings durch spezialistische und teils sektiererische Unternehmungen geprägt zeigte. Hier galt es, in einer grundlegenden historisch-systematischen Analyse fundierte Konzeptionen für gegenwärtige Praktiken geschlechtlicher Kodierungen zu gewinnen. Im Bereich der Artefakte schließlich konnte auf tragfähige Konzepte zu einer Anthropologie und Soziologie der Technik wie auf grundlegende methodische Arbeiten zurückgegriffen werden. Thematisch allerdings erwiesen sich Bereiche, die eine integrative Perspektive auf naturale und artifizielle Alteritäten ermöglichen, deutlich unterbelichtet.
Die aufgrund dieser Diagnose in der ersten Förderphase (1997-2000) geleistete Forschungsarbeit zeitigte bereits erste vielversprechende Erfolge und Befunde.
Im Bereich Landschaft wurden zentrale konzeptuelle Weichenstellungen sowohl in methodisch-theoretischer als auch in thematischer Hinsicht erarbeitet. Anhand von Projekten großräumiger Landschaftsgestaltung seit dem 18. Jahrhundert wurde erforscht, in welcher Weise die praktischen und symbolischen Kodierungen, die in solchen Projekten zum Tragen kommen, mit Prozessen sozialer Identitätsbildungen verflochten sind.
Im Bereich Geschlecht/Körper konnten in einer ersten Phase die historischen Transformationen in der Bearbeitung der Geschlechterdifferenz in der bundesrepublikanischen Diskussion aufgearbeitet werden. Daran anschließend wurden identitäts- und differenztheoretische Fassungen des Geschlechterverhältnisses auf ihre ethisch-praktischen Implikationen und Anschlußmöglichkeiten geprüft. Anhand der Frage nach unterschiedlichen Konzeptionen, Postulate von Gerechtigkeit und solidarischer Gemeinschaft auszuweisen, ließ sich die praktisch-politische Relevanz einer postmodernen Brechung dichotomer Alteritätszuschreibungen konkreter fassen.
Im Bereich Artefakte wurden in einer fundierten Auseinandersetzung mit dem in kultur- und sozialwissenschaftlichen Diskussionen sehr einflußreichen Paradigma vom technisch-medialen Apriori die Aporien einer solchen Form technikdeterministischer Argumentation offengelegt. Des weiteren ließen sich Mensch-Technik-Verhältnisse im 20. Jhdt. typologisch als identitätssichernde Funktionalisierungen, als bedrohliche Alterität und als symbolische Verschachtelung humaner und apparativer Gegebenheiten beschreiben. Damit konnte eine integrative Perspektive auf die drei Bereiche eröffnet werden, die in einigen projektübergreifenden Arbeiten von Beginn mitgeführt wurde.
Die grundlagentheoretische Bedeutung dieser Ergebnisse kann wie folgt zusammengefaßt werden: Es war bereits zu Beginn des Teilprojektes klargeworden, daß für Fälle, in denen sich kollektive Identitäten über rein subjektbezogene Prozesse der In- und Exklusion bilden, hinreichend tragfähige Konzepte vorliegen. Allerdings bot keines dieser Konzepte - weder in Anschluß an Mead, noch an Schütz, noch an die bisher vorliegenden poststrukturalistischen und postmodernen Kulturtheorien - eine hinreichende Basis zur Klärung von Fällen, in denen naturale und artifizielle Dimensionen in die intersubjektiven Verhältnisse hineinragen. Anschluß versprach hier sehr viel eher die Wiederaufnahme der Philosophischen Anthropologie, die im Gegensatz zu angelsächsischen und französischen Denktraditionen naturale und artifizielle Alteritäten in besonderer Weise mit bedacht hatte. So wurden im Bereich Landschaft Anschlußmöglichkeiten an eine im Rahmen anthropologischer und soziologischer Technikforschung etablierte Konzeptionalisierung artifizieller Alterität eruiert. Im Bereich Geschlecht/Körper ließen sich nicht nur in systematischer Weise die theoretischen Möglichkeiten offenlegen, auf Geschlechterdifferenzen zu reflektieren, sondern auch die Reflexionen der zentralen ethisch-moralischen Diskurse zur Geschlechterdifferenz um die leiblichen Bezüge der Dimensionen Gerechtigkeit und Gemeinschaft erweitern. Im Artefaktbereich wurden die Konsequenzen unterschiedlicher Technisierungsschübe - von mechanischen Maschinen bis zu gegenwärtigen Kommunikations- und Informationstechniken - für die sozial- und kulturwissenschaftliche Theoriebildung untersucht.

2. Angewandte Methoden

Das methodische Interesse galt der Frage, wie sich das Verhältnis von praktischen Umgangsweisen und symbolischen Kodierungen naturaler und artifizieller Alteritäten konzeptionell fassen und empirisch beschreiben läßt. Absicht war es, einerseits die der Thematisierung von Natur- und Sachbezügen zugrunde liegenden Regeln, Mechanismen und ungesagten Vorverständnisse aufzudecken, andererseits aber die dingliche Dimension als Grenze von Symbolisierungen und diskursiven Machteffekten ins Spiel zu bringen.
Entsprechend wurde ein Set methodischer Orientierungen erarbeitet, das sich in der Forschungspraxis für alle drei Dimensionen des Teilprojektes mitsamt ihrer jeweiligen inneren gegenstandsspezifischen Ausdifferenzierung als sehr gewinnbringend erwies. Methoden kultursoziologischer und historisch-anthropologischer Provenienz wurden miteinander verknüpft: klassische rekonstruktive Verfahren der Hermeneutik, der historisch-genetischen Theorie und der Psychoanalyse wurden mit diskursanalytischer (Foucault) und dekonstruktivistischer (Derrida) Methodik kombiniert sowie mit phänomenologischen und anthropologischen Perspektivierungen (Waldenfels, Plessner) gegengelesen. Erweitert wurde dieses erprobte Instrumentarium in der zweiten Förderphase um das neuere methodische Konzept der "Akteur-Netzwerk-Theorie", das konstruktivistische Wissenschaftstheorie und Ethnomethodologie zusammenführt (Latour, Callon) und einen vielversprechenden Ansatz bietet, die gängige unproduktive Frontstellung rein symbolisch-konstruktivistischer versus anthropologisch-realistischer Verfahren zu unterlaufen.
Neben diesen allgemeinen wurden spezielle Methoden herangezogen und modifiziert, die für alle drei Forschungsfelder relevant waren und sich auf die Dimensionen Wissen (Serres), Kommunikation bzw. Medien (Ruesch/Bateson, Kittler) sowie Sprache und Metaphern (Blumenberg, Konersmann) beziehen.

3. Ergebnisse und ihre Bedeutung

3.1 Landschaft

Im Bereich Landschaft läßt sich an erster Stelle auf das inzwischen weit fortgeschrittene Habilitationsprojekt von Stefan Kaufmann verweisen, der zu "Artifizielle Landschaften. Großprojekte moderner Raumgestaltung in kultursoziologischer Perspektive" arbeitet. Landschaftsbezüge thematisieren auch die drei projektübergreifend konzipierten Dissertationen von Gereon Uerz ("'Zukunftsdiskurse' - Versuch einer Soziologie der Zukunft"), Dominik Schrage ("Subjektkonstruktionen in artifiziellen Wirklichkeiten: Psychotechnische Normalisierung und radiophones Erleben 1918-1932") und Silke Bellanger ("Wissenschaft goes Disneyland. Science Centers als Orte der Wissenskonstruktion") sowie eine Studie von Wolfram Lutterer (2001b).
Stefan Kaufmann entwickelte im Rahmen seiner Arbeit ein methodisch-theoretisch fundiertes Landschaftskonzept, das aufzeigt, entlang welcher Systematik die Strukturierung und Aneignung von Naturräumen ineinandergeschrieben sind. Die Profilierung sehr heterogener Landschaftsthematisierungen seitens unterschiedlicher Disziplinen erwies, daß deren Konzeptualisierungen von Landschaft von mehreren Dichotomien durchzogen ist.
Im Spannungsfeld zwischen naturwissenschaftlich-geographischer und kulturwissenschaftlicher Auffassung stehen sich gegenstandsbezogene, "realistische" Fassungen und kategoriale Auffassungen gegenüber, die Landschaft als eine Art und Weise bezeichnen, Räume zu betrachten und deren Einheit in die subjektive Wahrnehmung zu verlegen. Im Spannungsfeld von evolutionstheoretisch fundierten geographisch-ökologischen Geschichtskonzeptionen und soziologischen Entwürfen stehen sich Versuche gegenüber, einerseits das Verhältnis von Natur und Kultur "naturalistisch" zu deuten und von symbolischen Bezügen zu abstrahieren, andererseits die Sozialwelt zu autonomisieren und rein auf symbolische Bezüge zu rekurrieren.
Kaufmann schlägt vor, diese Spannungen durch eine an techniksoziologischen Konzeptionen geschulte Soziologie der Sachen produktiv aufzunehmen und zugleich zu unterlaufen, indem man Landschaft nicht als kompakte Alterität beschreibt, d.h. nicht als "Objekt", sondern in Kategorien relationaler Beziehungen verhandelt (vgl. Kaufmann 2000a, 1999b). In drei empirischen Studien, die historische Formierungen von Landschaften untersuchen - die Entstehung des amerikanischen Grid-Systems, Exempel der ingenieur-technischen Erschließung kolonialer Räume und die Formierung einer globalen Umwelt am Beispiel des Ozonlochs - macht er deutlich, daß eine solche Konzeption von erheblichem analytischen Gewinn ist. Es gelingt in diesen Fällen, jeweils einsichtig zu machen, wie die Ebenen von Naturerkenntnis, Naturwahrnehmung und -repräsentation mit Formen technisch-ökonomischer und politischer Landschaftsgestaltung korrelieren, sich wechselseitig stabilisieren und hervorbringen (vgl. die knappe empirische Skizze zum Grid-System in Kaufmann 1999a). Anders ausgedrückt: Landschaft als analytische Kategorie beinhaltet sämtliche historische Bedeutungsverschiebungen des Begriffes, der sich von politischer Herrschaft über die symbolische Repräsentationsform des Gemäldes und ästhetisch-kontemplativ erfahrene Naturzusammenhänge bis hin zur kulturell-technischen Prägung und naturwissenschaftlichen Erfassung von Naturräumen erstreckte.
Die bei Kaufmann jeweils mitverhandelte Frage, in welcher Weise diese Relationen von Natur und Kultur Mechanismen kollektiver Identitätsbildung implizieren, wurde in einem zusammen mit dem skandinavistischen Projekt A3 initiierten interdisziplinären Workshop in systematischer Weise aufgenommen. Dieser machte zugleich die grundlegende Rolle naturräumlicher Verdinglichungsprozesse kollektiver Identitäten deutlich. In der Gestaltung von Landschaft, in ihren symbolischen Kodierungen oder in ihren Repräsentationen formen und manifestieren sich Identitätspolitiken. Von Parkgestaltungen bis zu Großraumplanungen, von nationalen Aufladungen bzw. Exotisierungen in kolonialer Praxis bis zur geschlechtsspezifischen Kodierung von Natur und Kultur, von Landschaftsgemälden und kartographischer Repräsentation bis zu virtuellen Landschaftsentwürfen: in Landschaften schreiben sich Vorstellungen vom gemeinsamen Leben sowie von Leitmodellen gesellschaftlicher Entwicklung ein. Kollektive Identifikationen und Abgrenzungen bilden sich über naturästhetische Geschmacksfragen, über ökonomische und politische Praktiken im Umgang mit Natur, über damit einhergehende Formen sozialer Disziplinierungen und schließlich über Prozesse von Ausgrenzung, Vertreibung und Vernichtung (vgl. Kaufmann 2001d, e).
Neben diesem grundlegenden Versuch, den Landschaftsbegriff im Anschluß an unterschiedliche kulturwissenschaftliche Strömungen als analytische Dimension in die kultursoziologische Diskussion einzubringen, wurden weitere zentrale Aspekte landschaftlicher Praktiken beleuchtet. Eine wichtige kulturtheoretische Ergänzung zum Umbruch in der Raumgestaltung des 18. Jhdts. leistet Gereon Uerz, dessen Arbeit auf die historische Parallelität verweist, zeitlichen Fortschritt nun innerweltlich zu deuten und zugleich den Horizont als eine neue Form der Grenzwahrnehmung auszubilden, die für eine unabschließbare räumliche Ausdehnung steht.
Sozialtechnologisch initiierte Identitätsbildungen im Zuge einer technischer Simulation von Landschaftserlebnissen wurden von Dominik Schrage und Silke Bellanger aufgenommen: Ausgearbeitet wurde, wie sich im Kontext gezielter Subjektbildung seit den 20er Jahren Strategien ausbilden, im Radio einen Hörraum zu simulieren, der holistischen Landschaftsbildern entspricht und kollektive Identität stiften soll (Schrage 2001a, b). Gegenwärtig werden eher individuelle Selbstentwürfe stimuliert, wenn in Installationen in Science Centers und Science Parks Landschaftserlebnisse simuliert werden, um naturwissenschaftliche Erkenntnisse in popularisierter Form in Umlauf zu bringen (Bellanger). Ein Problem der Regulierbarkeit des Umgangs mit naturaler Alterität arbeitete Wolfram Lutterer anhand der juridischen Problematik heraus, die sich gegenwärtig beim Umweltschutz nicht zuletzt deshalb ergibt, weil die rechtliche Transformation des Naturraums unabdingbar auf ethische und ästhetische Fragen verweist.

3.2 Geschlecht und Körper

Im Bereich Geschlecht und Körper führt Dietmar Wetzels Dissertation den geschlechterfokussierten Forschungsstrang des Teilprojekts zu Ende. Mit Wolfram Lutterers Habilitationsprojekt, das eine kritische Auseinandersetzung mit den körper- und geschlechtsbezogenen Hypothesen der Soziobiologie beinhaltet, rückt nun der stets mitgeführte körperfokussierte Aspekt an vorrangige Stelle.
Die von Dietmar Wetzel vorgelegte Dissertation "Einsprüche des/der Anderen. Konstellationen des Politischen und des Ethischen in der postmodernen Gesellschaft" bringt einen im Rahmen des Teilprojektes vollzogenen Analysestrang geschlechterspezifischer Fragestellungen zu einem vorläufigen Abschluß. Nach der durch Nadja Parpart bereits in der ersten Förderphase abgeschlossenen Aufarbeitung der Geschlechterforschung seit 1945 konnte nunmehr auch der Bezug ethisch-politischer Fragestellung zum Feminismus weiter erhellt werden. Wetzel spannt hierbei den Bogen von Carol Gilligans These von zwei Moralen - einer spezifisch weiblichen Fürsorgemoral und einer männlichen Gerechtigkeitsmoral - über Seyla Benhabibs interaktiven Universalismus bis hin zu Drucilla Cornell, welche in Anschluß an Lévinas in der Geschlechterdifferenz einen Fall von Alterität besonderer Art erkennt: Hier ist die Äußerlichkeit des Anderen tatsächlich als solches anzuerkennen. Ergänzende Analysen finden zur Tertiarität (Raum/Sprache) und zur Figur des Dritten statt. Dieser durchbricht die alterisierende Logik von Zweierbeziehungen. Dabei wurden rekonstruktive und damit eher auf Identität fokussierende Konzeptionen mit dekonstruktivistischen Konzepten konfrontiert, die auf Alterität bzw. Tertiarität rekurrieren. Damit wird zugleich die Bedeutung von Konzepten der Erweiterung bzw. der Überwindung von gewöhnlich nur bipolar konstituierten Bezügen von Identität zu Alterität betont, die auch unter dem Stichwort der Hybridität/Hybridisierung firmieren.
Ein Forschungsstrang, der von Beginn des Projekts mitgeführt wurde, dreht sich um die Frage nach den menschlichen Selbstbildnissen, wie sie in Vorstellungen von Entwicklungsfähigkeit, von (bio-)technischer Transformierung und Machbarkeit menschlicher Existenz eingelassen sind. Dieser Strang wurde bisher in verschiedenen Studien mitgeführt und einzelnen Studien thematisiert. So verweist Stefan Kaufmann (2001b) etwa auf die Suche nach Determinanten kulturell-geistiger Entwicklungsfähigkeit, die in klimatheoretischen Studien des 18. Jhdts. an Äußerlichkeiten abgelesen und in der frühen biologischen Anthropologie am Gehirnvolumen gemessen wurden. Andrea zur Nieden (1999, 2001b) und Silke Bellanger (1999) führen die in der ersten Phase schon mehrfach aufgenommene Frage nach der technologischen Aufrüstung des Körpers in Cyborg-Projekten fort. Fragen der Entwicklungsfähigkeit des Biologischen sind freilich auch Thema in Zukunftsentwürfen (Uerz 1999, Schrage 2000), vor allem da - wie Schrage (2001) und Bellanger in ihren Dissertationen ausarbeiten -, spezifische Formen von Körpererfahrungen und Sinneserfahrungen in ganz erheblichem Maße durch An- und Einbindungen an technologische Settings transformierbar sind. Als besonders fruchtbar erwies sich hier die Wiederaufnahme der Philosophischen Anthropologie. Wolfgang Eßbach (Eßbach 2001f) konnte bei Scheler, Plessner, Rothacker und Gehlen interessante Ansätze vorlegen, sowohl die Grenzen der Naturalisierung von Kulturphänomenen als auch die der Kulturalisierung von Unverfügbarem zu bestimmen. Wichtige Impulse gingen auch von dem vom Projektleiter organisierten ersten internationalen Kongress der Helmuth Plessner Gesellschaft, der vom 2. bis 4. November 2000 in Freiburg stattfand, aus.
An diese Fragen nach biologisch verortbaren Determinanten oder Machbarkeiten menschlicher Entwicklung und Identität knüpft Wolfram Lutterers Habilitationsvorhaben mit einer grundlegenden Ausrichtung der Fragestellung an. Dabei erweitert er das methodische Instrumentarium in diesem Bereich nunmehr durch den Einbezug systemischer und kybernetischer Ansätze.
Thematisch reagiert das Projekt auf die Feststellung, daß aufgrund der zunehmenden Bedeutung der Gentechnologie auch in zunehmendem Maße ein Gebrauch genorientierter Beschreibungsweisen zur Erklärung sozialer Phänomene zu beobachten ist. Auf Seiten der Biologie entspricht dies der Programmatik der Soziobiologie, die im Jahre 1975 durch den Ameisenforscher Edward O. Wilson begründet wurde. Die Soziobiologie, als deren prominenteste Vertreter neben Wilson auch Richard Dawkins und Daniel Dennett angeführt werden können, deutet kulturellen Wandel als ein Resultat evolutionärer Prozesse, und somit zumindest teilweise als Ergebnis genetischer Selektion. Insbesondere für Dawkins "Memtheorie", in gewisser Weise einer Mischung aus platonischer Ideenlehre und kollektivem Gedächtnis, wird der Körper bzw. das Genom zu einer Alterität par excellence. Soziobiologische Diskurse sind, so zeigen bisherige Arbeitsergebnisse, in einem sehr hohem Maße von einem eigenwilligen und geradezu bekenntnishaften Stil gekennzeichnet. Den Diskursteilnehmern wird - und dies bei Gefahr der wissenschaftlichen Exkommunikation - ein Bekenntnis zu einem "Darwinismus" abverlangt, der mit der Theorie von Charles Darwin nur in Teilen konform geht. Die Terminologie ist zudem gekennzeichnet von einer sehr eigentümlichen Anthropologisierung des Tieres bei gleichzeitiger Ethologisierung menschlicher Verhaltensweisen. Dabei zeichnet sich eine Vermengung wissenschaftlicher Erkenntnis mit näher zu überprüfenden erkenntnistheoretischen Grundannahmen sowie einer sich im Hintergrund verbergenden Ideologie ab. Zu deren Bearbeitung wird ein entsprechend komplexes methodisches und theoretisches Instrumentarium benötigt, wobei das Forschungsvorhaben von der breit angelegten Methodik des Teilprojektes in hohem Maße profitiert. Erkenntnisleitend ist dabei die Auffassung, daß klassisch-reduktionistische Verfahrensweisen zur Erklärung hochkomplexer biosozialer oder kulturelle Phänomene mit Notwendigkeit zu kurz greifen, weil sie deren interaktiven und systemischen Charakter nicht zu integrieren in der Lage sind.
Die forschungsleitende Frage in diesem Zusammenhang lautet, inwieweit soziobiologische Positionen einem Versuch zur Begründung einer Wissenschaftsreligion gleichkommen, in der philosophisch aus gutem Grunde offen gelassene Fragen nach einer möglichen Letztbegründung mit einem Verweis auf die Evolution und "das Gen" beantwortet werden. Nachdem auf Seiten der Sozialwissenschaften bereits soziobiologisch orientierte Erklärungsweisen u.a. zur Erklärung von Fremdenhaß und Ethnozentrismus genutzt werden, scheint es unabdingbar, die gegenwärtigen Diskurse zu einer genetisch vermittelnden Identität bzw. einer derart konstituierten Alterität einer näheren soziologischen Analyse zu unterwerfen. Alterität, so läßt sich vorläufig resümieren, ist für die Soziobiologie nicht nur eine fixierte genetische Identität, die zugleich als Fremdes alterisiert wird, sondern auch das Resultat unserer "egoistischen Gene". Allerdings wird dieses, derartig hypostasierte Identitäts- und Alteritätsverhältnis im Zeichen gentechnologischer Machbarkeitsvorstellungen paradoxerweise zur Verfügungsmasse menschlichen Handelns, indem mögliche bzw. gewünschte Identitäten in ein zu veränderndes Genom projiziert werden.

3.3 Artefakte

Im Bereich Artefakte konnten mit den Arbeiten von Susanne Fohler und Bernd Remmele zwei weitere Dissertationen abgeschlossen werden, die Antworten auf die zentrale Frage nach der historisch je unterschiedlichen Bestimmung des Verhältnisses von Dingen und Menschen geben. Das Problem der Transformation von Identitätsbildungen im Kontext technisierter Lebenswelten nahmen auch die mehrfach angeführten Dissertationen von Dominik Schrage, Silke Bellanger und Gereon Uerz sowie eine Studie von Stefan Kaufmann auf. Theoretische Rahmungen für eine Soziologie und Anthropologie der Artefakte hat der Projektleiter vorgelegt (Eßbach 2001f, 2001g). Die Unterscheidung von unmittelbaren und ding-vermittelten Gegenseitigkeitsbeziehungen brachte weitergehende Klärungen (Eßbach 1999a).
Susanne Fohler hat mit ihrer Dissertation "Der Platz der Dinge in der Welt des Menschen. 'Mensch' und 'Technik' in Diskursfeldern des zwanzigsten Jahrhunderts" bereits den ABB-Wissenschaftspreis des Landesmuseums für Technik und Arbeit in Mannheim gewonnen. Für die Frage nach dem Verhältnis von Technik und Mensch lassen sich systematische Zuordnungen gewinnen: Technik kann erstens als das Identische des Menschen gesehen werden, wie es exemplarisch in der Auffassung als Organprojektion auftritt. Technik kann zweitens als das radikal Andere des Menschen gedeutet werden, als autonome Sphäre, die nach reiner Effizienzlogik voranschreitet und schließlich das genuin Menschliche, die souveräne Entscheidung, völlig absorbiert. Eine dritte Zugangsweise insistiert darauf, daß sich Mensch und Technik nicht a priori trennen lassen, es also jeweils ausfindig zu machen gilt, welche Modifikationen der Selbstreflexion mit neuen Techniken verbunden werden, in welcher Form Materialisierungen humaner Potentiale stattfinden und was an Neuem, an Fremdem in die Welt gesetzt wird. Damit werden zugleich Polarisierungen in technikkritische und technikapologetische Auffassungen überwunden, um nunmehr der Einsicht Platz zu machen, daß Mensch und Technik zusammen einen Transformationsraum bilden.
Wenn Susanne Fohler nachweist, daß die Prävalenz dieser drei Platzanweisungen mit unterschiedlichen Stufen der Technisierung, von mechanischen Maschinen über energetische zu symbolverarbeitenden, korreliert, so vertieft die Dissertation von Bernd Remmele zur "Entstehung des Maschinenparadigmas" diese Analysen an einer historisch prominenten Stelle. Remmele fragt nach der Rolle, die konkrete Maschinen in der frühen Neuzeit für die Entstehung eines abstrakten Maschinenparadigmas - eine allgemeine, Natur, Technik, Körper und Staat umfassende Weltbildkonstruktion - spielen. Seine historisch-genetische Analyse weist einen im Kontext von Maschinierungsprozessen stehenden kategorialen Wandel nach, der auf eine Homogenisierung von Raum und Zeit abzielt, sowie einer dementsprechenden (quantitativen) Systematisierung der Kausalität. Im sich damit öffnenden Spannungsfeld zwischen schöpferischer Konstruktion der Maschine als Ganzes und systemischer Kausalität zwischen ihren Teilen geraten mystifizierende Weisen der Identitäts- und Alteritätskonstruktion zunehmend in die Defensive. Für die philosophische Selbstverortung des Menschen blieb diese im Maschinenmodell angelegte Spannung im Verlauf der Moderne ein wesentlicher Antrieb. Die Entwicklung des Maschinenparadigmas erhellt damit eine entscheidende Stelle in der Entwicklung der Begründungsformen, die der Entwicklung des säkularen, identitätsstiftenden Weltbildes der Moderne zugrunde liegen.
Diese Fragen nach anthropologischen und philosophischen Selbstverortungen im Kontext von Technisierungsprozessen werden durch Studien ergänzt, die die Transformation von Subjektivierungsweisen in konkreten historischen Prozessen untersuchen. Gereon Uerz' Arbeit an einer Soziologie der Zukunft zeigt auf, in welcher Weise literarisch-ästhetische Reflexionen und Antizipationen von Modernisierungsprozessen historisch in je spezifischer Form der Propagierung und Vermittlung neuer technologischer Leitbilder dienen, in denen individuelle und kollektive Identitäts- oder Alteritätskonstrukte gebildet oder auch zerstreut werden. In ähnlicher Weise - so arbeitet Silke Bellanger aus - fungieren auch die technischen Installationen der Science Center als Medien, die Wissen über Mensch, Technik, Natur und Körper zugleich hervorbringen und streuen. Die Mischung von Repräsentation und Praxis in solchen Centers impliziert ein interaktives Moment, in dem Wissen nicht allein das Ergebnis kognitiver Leistung, sondern darin dominant präsenter, leiblich-sinnlicher Erfahrung und Selbsterfahrung wird. Diese ästhetischen Aspekte von Selbsterfahrung und -modifizierung spielen auch in psychotechnischen und radiophonen Anwendungsprozessen - so wie sie Dominik Schrage für die 20er und 30er Jahren dieses Jhdts. untersucht hat - eine Rolle. Hier werden subjektive Dispositionen mit einer artifiziellen Wirklichkeit nicht nur technisch rückgekoppelt, sondern zugleich in epistemologischem Sinne konstituiert. Eine spezifische Rolle spielen solche sozialdisziplinierenden Praktiken, die Individuen über die Anbindung an Techniken herausbilden und transformieren, in Prozessen soldatischer Identitätsbildung, deren Wandlungen Stefan Kaufmann (2001g) in den Blick nimmt.

3.4 Zusammenfasung

Zusammenfassend - und daraus resultiert auch die grundlagentheoretische Bedeutung des Projekts - lassen sich folgende Ergebnisse festhalten: Erstens konnte in allen drei Dimensionen, die zur Untersuchung standen, in historischer und systematischer Weise aufgezeigt werden, wie in zentralen wissenschaftlichen und teils in politischen und alltagspraktischen Diskursen die Bezüge zwischen Personen und Sachen bzw. Menschen und ihren naturalen Lebensvorausset-zungen konzipiert wurden. In allen drei Dimensionen ließen sich analoge Muster ausfindig machen, die sich erkenntnistheoretisch zwischen Realismus und Konstruktivismus, gegenstandsbezogen zwischen Naturalismus und Soziozentrismus und subjektheoretisch zwischen identitäts- und alteritätsfixierten Positionen bewegten. Ebenfalls für alle drei Felder gilt, daß sich seit den 80er Jahren Positionen identifizieren lassen, die in unterschiedlicher Weise versuchen, diese Dichotomien in relationale und prozessuale Bezüge aufzulösen. Zweitens ergaben sich daraus - diskursanalytisch extrapoliert, sowie auch systematisch und anthropologisch begründet - die theoretischen und methodischen Anschlüsse für eine Perspektivierung naturaler und artifizieller Alterität, die Transformationen, Interferenzen und Hybridisierungen im Verhältnis von sozialen und nichtsozialen Elementen in den Blick nimmt. Dies ließ sich, wie ausgeführt, an wichtigen historischen Umschlagpunkten und an für gegenwärtige Diskurse und vorgängige Prozesse zentralen Themen empirisch-konkret in den Blick nehmen. Drittens wurde an signifikanten Fällen ausgearbeitet, in welcher Weise Konzeptionen naturaler und artifizieller Alterität in Identitätsbildungen auf sozialer Ebene durchschlagen. Dabei können Prozesse forcierter Abgrenzung an folgende Momente anknüpfen: (a) an wissenschaftlich-technisch gestützte Zuschreibungsprozesse (etwa psychotechnisch oder anthropometrisch konstatiert), (b) nicht notwendig nur durch historisierenden Rückbezug, sondern auch in Form einer Hinwendung auf gemutmaßte zukünftige, technologisch fortgeschrittene Zustände, (c) durch eine Verlagerung metaphorisch-sym-bo-li-scher sowie technisch-materieller Festschreibungen sozia-ler Identität auf die Naturebene. Mit dem Fokus auf Hybridisierungen, Überschreitungen und Transgressionen sozialer Identitäten lassen sich folgende Prozesse, ein dichotomes Gegeneinander zu unterlaufen, typologisch benennen: (a) die Aushebelung des symmetrischen Dualismus von Ego und Alter über die Position des - auch naturalen oder artifiziellen - Dritten, (b) Strategien der Gegendifferenzierung von Dichotomien etwa mit dem Ziel der Ersetzung gesellschaftlicher Leitbilder (wie etwa die Umwertung von entwickelt/unterentwickelt zu lebenserhaltend/lebensbedrohend im Zuge der ökologischen Wende), (c) die Steigerung bzw. Potenzierung derartiger Strategien durch Multiplizierungs- und Vervielfältigungsprozesse, wie sie für forcierte Technisierungsprozesse typisch ist und (d) das Unterlaufen des Ego-Alter-Dualismus durch Ästhetisierungen - also die Umdeutung von Wesensfragen in Geschmacksfragen.

4. Offene Fragen

 
Hinsichtlich seiner Ausgangsfragen kann das Teilprojekt C1 mit den bis zum Ende der 2. Förderphase zu erwartenden Arbeiten als abgeschlossen betrachtet werden. Die methodisch-theoretischen Möglichkeiten, die Sozialisierung von naturalen und artifiziellen Alteritäten aufzunehmen, wurden für alle drei Dimensionen ausgearbeitet. In wichtigen thematischen Feldern wurde eine neue Kombination von analytischem Instrumentarium erprobt und damit zugleich in gewinnbringender Weise empirische Befunde zur Bildung sozialer Identitäten geliefert.
Offene Fragen ergaben sich vor allem hinsichtlich der Rolle des Körpers in Prozessen gegenwärtiger Identitätsbildung. Im Kontext von Arbeiten, die auf Wissen und Zukunft fokussieren (Bellanger und Uerz) sowie dem Projekt von Wolfram Lutterer zur Soziobiologie zeichnete sich ab, daß Identitätsbildungen gegenwärtig vor allem als Fragen der Lebensführung verhandelt werden, in denen sich Wissen und Erwartungen nicht zuletzt auf körperliche Aspekte (Gesundheit, Krankheitsrisiko usw.) richten. Hier scheint noch wichtiger Aufklärungsbedarf für eine körperbezogene und anthropologische Forschung vorzuliegen. Politisch, wissenschaftlich und alltagspraktisch stellen sich ethische Fragen im Bezug von Tun-Können und Tun-Sollen, werden soziale Phänomene auf evolutiv entstandene und somit genetisch fixierte Verhaltensdispositionen zurückgeführt oder der eigene Körper subjektivitätsorientiert aufgeladen. Identitätsstiftende Orientierungen scheinen hier fundamental an noch näher zu bestimmenden Objektivierungsweisen von wissenschaftlich-technischen Verfahren angekoppelt und an die Popularisierung expertokratischen Wissens aus diesen Bereichen gebunden. Ein Teil dieser offenen Fragen soll in einem neu konzipierten Nachfolgeprojekt unter dem Titel "Projektive und selektive Identitäten" aufgearbeitet werden.