Menschen Beobachten. Zum Tod des Soziologen Baldo Blinkert
Nachruf von Prof. Stefan Kaufmann
Soziologie lernt man nicht aus Büchern. Das war das Credo, das Baldo Blinkerts Lehr- und Forschungstätigkeit bestimmte. Soziologie bedeutete für ihn in erster Linie sich in der Welt zu bewegen und sich umzuschauen: im Wohnumfeld, auf dem Spielplatz, am Arbeitsplatz, beobachten, was Jugendliche, was Behinderte, was ältere Menschen tun, zuhören, was sie zu erzählen haben. Seine Leidenschaft galt der Formung dieses Beobachtens, in dem sich theoretische Reflexion nicht nur mit methodischer Präzision, sondern mehr noch mit methodischer Kreativität verbinden sollten. Und es sollte ein engagiertes Beobachten sein. Ein Beobachten, das sich für Unsicherheiten, für soziale Probleme und Ungleichheiten, aber auch für die Gestaltbarkeit des sozialen Lebens interessierte.
1970 begann Blinkert als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Gesellschaftslehre in Frankfurt beim Religions- und Wissenssoziologen Thomas Luckmann, der jemanden suchte, der etwas von den „neuen amerikanischen Methoden“ verstand. 1971 holte ihn Heinrich Popitz ans Institut für Soziologie nach Freiburg. Hier promovierte Blinkert 1975 mit einer Arbeit zu Berufskrisen in der Sozialarbeit, 1998 erfolgte die Habilitation, und schließlich wurde er zum außerplanmäßigen Professor ernannt. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2010 war Blinkert am Freiburger Institut für Soziologie. Dort hat er die Ausbildung im Bereich Forschungsmethoden aufgebaut und sie nahezu vierzig Jahre geleitet.
Seinem Wirken verdankt die Freiburger Soziologie eine ganz besondere Art empirischer und lokalräumlicher Verankerung. In gewisser Weise hat er ihr Bodenhaftung verliehen. Themen seiner empirischen Forschung waren der städtische Sozialraum, soziale Fragen, die sich mit Kindheit, Jugend und Alter verbinden, Fragen des Wandels von Professionen und der Organisation der Arbeitswelt, und schließlich auch Studien zu Kriminalität, Sicherheit und Sicherheitswahrnehmung. Lehre und Forschungspraxis zu verbinden, war ein Motiv, das 1984 zur Gründung des Freiburger Forschungsinstituts für angewandte Sozialwissenschaft (FIFAS) führte. Generationen von Studierenden hat Blinkert diese Fähigkeit zu forschender Beobachtung vermittelt.
Am 26.November 2017 ist Baldo Blinkert plötzlich und unerwartet verstorben.