Naturale und artifizielle Alteritäten: Landschaft, Geschlecht, Artefakte.
Abschlußpublikation
Forschungsberichte
Projektbeschreibung
Im Rahmen des Projekts wird untersucht, wie Alteritäten zwischen Personen und Sachen bzw. Menschen und ihren naturalen Lebensvoraussetzungen strukturiert sind und wie die in diesen Bereichen konstruierten Andersheiten als Mittel, Symbol oder Vorwand zur Selbst- und Fremdabgrenzung von Gruppen fungieren. Die Klärung dieser grundlagentheoretischen Fragen soll in drei Dimensionen erfolgen, die als systematische Eckpunkte zugleich Grenzfälle von naturaler und artifizieller Alterität ausmachen: (a) Menschliche Kollektive verwandeln die natürlichen Räume, die sie besiedeln, in kulturell kodierte Landschaften, (b) sie polarisieren oder nivellieren in ihren geistigen Konstrukten die körperliche Alterität der Geschlechter, und sie geben sich (c) im Umgang mit sächlichen Artefakten Definitionen ihres besonderen Andersseins. "Nichtmenschliche" Alteritäten sind - so der Grundgedanke des Teilprojekts - in entscheidendem Maße an der Konstitution und Konstruktion von Identitäten beteiligt. Von besonderem Interesse ist dabei die Verflechtung und Zusammenschau der drei Dimensionen.
Ziel des Teilprojekts ist es, auf dem Wege einer exemplarischen und vergleichenden Analyse der Bereiche Landschaft, Geschlecht, Artefakte Modi von Alterität zu eruieren, die nicht auf der für die reine Sozialwelt hypostatisierten gleichen Augenhöhe liegen, aber in symbolischer und praktischer Hinsicht für die Konstitution und Konstruktion von Identität von Bedeutung sind. Die Rolle von Landschaftsverhältnissen, Körperbeziehungen und Artefaktbezügen in identifikationsstiftenden Prozessen gilt es zu bestimmen. Die thematischen Felder, die in den drei Bereichen zur Untersuchung stehen, sind forschungsstrategisch bedeutsam und bringen für die Integration der Teilprojekte des SFB einen Gewinn.
Im Bereich Landschaft wird anhand von Projekten großräumiger Landschaftsgestaltung seit dem 18. Jahrhundert erforscht, in welcher Weise die praktischen und symbolischen Kodierungen, die in solchen Projekten zum Tragen kommen, mit Prozessen sozialer Identitätsbildungen verflochten sind. Welches anthropologische Selbstverständnis geht in die besonderen Bestimmungen der Dichotomie von Natur und Kultur ein, und welche Mechanismen der In- und Exklusion bewirken kollektive Identitätsbildungen ethnisch-nationaler oder auch sozialstratifikatorischer Art? Aufgenommen wurden solche Fragen auch hinsichtlich klimatheoretischer und anthropologischer Überlegungen im Kontext der Überseefahrten im 18. Jahrhundert.
Im Bereich Geschlecht/Körper wurden in einer ersten Phase die historischen Transformationen in der Bearbeitung der Geschlechterdifferenz in der bundesrepublikanischen Diskussion aufgearbeitet. Daran anschließend werden identitäts- und differenztheoretische Fassungen des Geschlechterverhältnisses auf ihre ethisch-praktischen Implikationen und Anschlußmöglichkeiten geprüft. Der Fokus liegt dabei auf unterschiedlichen Konzeptionen, Postulate von Gerechtigkeit und solidarischer Gemeinschaft auszuweisen. In einer weiteren Wendung werden Konzepte von Gemeinschaft analysiert, so wie sie in den modernen Biowissenschaften vorliegen. Im Zentrum des Interesses steht hierbei die Soziobiologie, die auf Grundlage evolutionstheoretischer und verhaltensbiologischer Konzepte Identitäts- wie auch Alteritätsvorstellungen eine biologische Basis zu geben versucht. Soziobiologische Thesen und Konzepte werden hierbei im Lichte der Erkenntnisse anthropologischer und techniksoziologischer Überlegungen auf ihren wissenschaftlichen Ertrag geprüft.
Im Bereich Artefakte legte eine fundierte Auseinandersetzung mit dem in kultur- und sozialwissenschaftlichen Diskussionen sehr einflußreichen medientheoretischen Paradigma die Aporien einer solchen (post)modernen Form technikdeterministischer Argumentation offen. In einer weiteren Studie wurden Mensch-Technik-Verhältnisse im 20. Jhdt. typologisch als identitätssichernde Funktionalisierungen, als bedrohliche Alterität und als symbolische Verschachtelung humaner und apparativer Gegebenheiten erkundet. Weitere Forschungen gelten z.B. der Bedeutung der Maschine für die Weltbildkonstruktion der frühen Neuzeit sowie der Archäologie des Computerspiels.
Projektübergreifende Studien fragen im Schnittfeld von wissenschaftlichen und populären Thematisierungen und Gebrauchsweisen von Techniken nach den je spezifischen Effekten für die Konstitution von Selbst- und Weltverhältnissen. Thematisch stehen hier zur Untersuchung die Raum-, Technik- und Körperbezüge wie sie aktuell in den Diskursfeldern von Science Fiction, New Age und Neostrukturalismus entworfen und in den technischen Installationen von Science Centers vermittelt werden, sowie historisch mit Praktiken von Psychotechnik und Radiosendung hervorgerufen wurden. Der dem gesamten Teilprojekt implizite grundlagentheoretische Spannungsrahmen zwischen "realistischen" und "konstruktivistischen" Auffassungen wurde auf mehreren thematischen Feldern (dem Begriff der Grenze, der Genese von Schuld, der Aufarbeitung unterschiedlicher anthropologischer und techniktheoretischer Modelle) entfaltet.
In methodischer Hinsicht werden im Horizont von Kultursoziologie und historischer Anthropologie kultur- und sozialwissenschaftliche Vorgehensweisen unterschiedlicher Provenienz verknüpft. Erprobte Verfahren wie diskursanalytische Perspektivierungen und dekonstruktivistische Denkbewegungen werden mit neueren methodischen Konzepten verbunden, die mit dem Begriff Akteur-Netzwerk-Theorie" bezeichnet sind, und den Versuch unternehmen, konstruktivistische Wissenschaftstheorie und Ethnomethodologie zusammenzuführen. Das methodische Interesse gilt dabei der Frage, wie sich das Verhältnis von praktischen Umgangsweisen und symbolischen Kodierungen naturaler und artifizieller Alteritäten konzeptionell fassen und empirisch in je besonderer Weise beschreiben läßt: In welcher Form verweisen Landschaftsbeschreibungen und materiale Inschriften in die Landschaft, Hinweise auf körperliche Merkmale und geschlechtsspezifische Lebenspraktiken, die Technisierung der Symbolverarbeitung und die symbolische Kodierung -dieses Vorgangs aufeinander? Gerade weil Diskurse und Praktiken nicht bruchlos zu denken sind, werden Fragen nach ihrer Archäologie in doppelter Richtung gestellt: Wie werden kulturellen Kodes materielle - landschaftliche, körperliche und technische - Formen verliehen, und wie werden aus solchen Formierungen Aussagen über Sachverhältnisse - natur- und sachbedingte Regeln, Normen sowie praktische Anleitungen - extrapoliert? Die methodische Leitfrage des Teilprojekts lautet: Wie entsteht in solchen rekursiven Konstruktionsprozessen der Wahrheitswert fixierter, kohärenter Identitäten und Alteritäten?