Das sind doch Potemkinsche Dörfer
BZ-INTERVIEW mit dem Freiburger Soziologen Wolfgang Eßbach, der die Einführung von Master- und Bachelor-Studiengängen kritisch sieht
FREIBURG. Bis 2009 sollen an der Freiburger Universität Diplom und Magister durch den Master ersetzt werden. Alle Studiengänge, außer jene mit Staatsexamen, sollen zudem nach sechs Semestern mit dem Bachelor einen ersten Abschluss bieten. Die Neuerung stößt nicht nur auf Zustimmung. Zahlreiche Fächer der Philosophischen und Philologischen Fakultät wollen "im Interesse der Ausbildung" am Magister festhalten. Über Sinn und Unsinn dieser Reform sprach Wulf Rüskamp mit Wolfgang Eßbach vom Institut für Soziologie.
BZ: Angesichts der Einführung von Bachelor und Master sprechen Sie von der Zerstörung der deutschen Universität. Ist es wirklich so schlimm?
Eßbach: Ja. Ich gehöre zur Minderheit der Professoren, die gegen diese Reform Stellung nehmen. Es gibt eine ganze Reihe von Kollegen, die sehr begeistert sind, dann gibt es eine Mehrheit, die schweigt, grollt oder ist in Resignation verfallen. Das hat auch mit Erschöpfung zu tun: Seit mehr als zehn Jahren wird eine Reformsau nach der anderen durch die Uni getrieben. Die Universität ist eine stumme Institution geworden.
BZ: Das heißt: Die Zerstörung der Universität läuft schon geraume Zeit?
Eßbach: Es wird jetzt aber eine neue Qualität erreicht, die über die Unterfinanzierung hinausgeht.
BZ: Dennoch hat die Universität Freiburg die Umstellung auf Bachelor und Master bis 2009 beschlossen.
Eßbach: Die Universitäten sind seit Jahren von der Regierung mit dem Argument erpresst worden: Macht, was wir wollen, dann werdet ihr nicht so stark gekürzt.
BZ: Das eigentlich Neue an dieser Reform ist der Bachelor-Abschluss . . .
Eßbach: Aber der Bachelor für sich genommen ist nicht das Problem, auch nicht der Master. Das Problem liegt darin, dass in dieser Reform die Unterschiede zwischen den Fächern vollständig ignoriert werden. Es gibt einzelne Fächer, wo der Bachelor oder der Master sinnvoll sind. Wir haben am Institut für Soziologie auch einen Masterstudiengang, der wunderbar läuft. Das Problem ist, dass jedes Fach rücksichtslos in diese Reform hineingepresst wird. Das führt dazu, dass in vielen Fächern Abschlüsse geschaffen werden, die sinnlos sind.
BZ: Aber gerade die Einheitlichkeit der Abschlüsse soll ja den so genannten europäischen Hochschulraum schaffen.
Eßbach: Das ist eine wissenschaftsfremde Fiktion. Europa braucht eine produktive Formvielfalt. Gleichschaltung entbindet keine Kreativität. Das Schlimme ist doch, dass in Deutschland alles, was regelbar ist, sehr ernst genommen wird. Hier greift die deutsche Gründlichkeit. Die Franzosen stellen zwar auch ihre Abschlüsse um, aber die schreiben einfach neue Überschriften übers Vorhandene, und dann machen sie in bewährten Strukturen weiter wie bisher.
BZ: Hinter dem nur sechs Semester dauernden Bachelorstudium gibt es noch die Überlegung, in kürzerer Zeit mehr Akademiker auszubilden.
Eßbach: Kann man machen. Nur was können die hinterher mit ihrem Abschluss anfangen? Was jetzt zum Tragen kommt, ist die Grundfehlentscheidung in den 70er- oder 80er-Jahren: Wir schicken alle, die eine Brille aufhaben, um es salopp zu sagen, in die Universitäten. Man hat die an sich wünschenswerte Expansion des Bildungssystems ohne Differenzierung des tertiären Sektors betrieben. Man hat versäumt, den Fachhochschulbereich auszubauen. In Baden-Württemberg immerhin hat man sich mit dem Konzept der Berufsakademien auf den richtigen Weg gemacht, aber dies müsste noch verstärkt werden. Es fehlen Schulen für Dokumentation und Medienarbeit, für Kulturmanagement, für Recht und Organisation u. a. m. Was wir brauchen, ist ein gestufter tertiärer Bildungssektor mit den verschiedensten Ausbildungsgängen, von Fachhochschulen, Professional Schools bis zu Universitäten, an denen in der Einheit von Forschung und Lehre der wissenschaftliche Nachwuchs ausgebildet wird. Man kann nicht die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses und ein sechssemestriges berufspraktisches Studium in ein und derselben Institution realisieren. Das ist unmöglich.
BZ: Und wie steht es um die geforderte Berufsbezogenheit des BA-Studiums?
Eßbach: Da wird man bald zurückrudern müssen. Die Konstruktion in Baden-Württemberg läuft darauf hinaus, dass der Inhalt eines bisher achtsemestrigen Fachstudiums in sechs Semester gepresst wird. Das eine Nebenfach wird eine Kümmerexistenz führen. Daneben gibt es dann die "berufsfeldorientierenden Kompetenzen", mit Kursen, die zum Leistungsangebot der VHS gehören. In Basel ist die Philosophische Fakultät wenigstens so klug, nicht unter zwei Hauptfächer zu gehen.
BZ: Aber die Seminare werden kleiner.
Eßbach: Im Gegenteil, sie werden größer, wenn die Studienabbrecher mitgezogen werden sollen.
BZ: Die BA-Studierenden sollen aber intensiver betreut werden.
Eßbach: Das sind doch alles Potemkinsche Dörfer. Ich sehe nirgendwo die Bereitschaft das zu finanzieren.
BZ: Nochmal zurück zur der von Ihnen behaupteten Zerstörung der deutschen Universität. Warum sehen Sie das so hart?
Eßbach: Man kann die Hochschulmodelle der angloamerikanischen Länder hier nicht so einfach implantieren. Man kann sich das, was dort an schönen Ideen existiert, rausnehmen, aber diese karikaturhafte Nachahmung ist ein Irrweg. Dadurch wird die einzige weltweit anerkannte institutionelle Erfindung, die Deutschland hervorgebracht hat, nämlich die Humboldtsche Universität, mit Elementen der Fachhochschulen und der berufspraktischen Orientierung zur Unkenntlichkeit deformiert.
BZ: Sind daran die Universitäten nicht mit schuld, weil sie seit 20 Jahren keinerlei konkrete Vorschläge zur ihrer Reform präsentierten?
Eßbach: Man muss differenzieren. Es sind Vorschläge gekommen, aber es war immer nur eine Minderheit von Professoren, die sie vertreten haben - was ich seit Jahren beklage. Der Mehrheit der Professoren ist die Wissenschaft wichtiger als die Universität. Dass sie ihre Institution verteidigen müssen, dafür fehlt ihnen der Sinn. Und die Politik steht den Universitäten weitgehend entfremdet gegenüber. Wir haben erlebt, wie Wissenschaftsminister von Trotha mit dem Misstrauen gegenüber den Universitäten angefangen hat. Unter seinem Nachfolger Frankenberg haben die Beschimpfungen aufgehört. Aber die Demütigung der Universität ist im neuen Landeshochschulgesetz festgeschrieben mit dem extern bestimmten Aufsichtsrat, der souverän über die Geschicke seiner Firma Universität entscheidet, ohne echte Einspruchsmöglichkeiten der Fakultäten, Professoren oder Studierenden.