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Zu "Bachelor und Master" gezwungen

Leserbrief, FAZ, 24.6.2004

Zu "Bachelor und Master" gezwungen

Zum Leitartikel "Hochschulpolitische Fiktion" (FAZ vom 19. Juni)

 

Heike Schmoll überschätzt in ihrem ansonsten bestens recherchierten und treffenden Beitrag die Macht der Professoren, wenn sie uns "vorauseilenden Gehorsam" bei der Einführung der Bachelor- und Master-Abschlüsse attestiert. Dem Willen zur Zerstörung der deutschen Universität, der die politische Klasse seit Jahren beherrscht, sind wir nicht gewachsen. Die politisch gewollte Steigerung der Studienanfänger allein in den 80er Jahren um 70% bei einer Vermehrung von Professorenstellen um 7% führte zur fließenden Selbstselektion der Studierenden, die den Anforderungen an ein selbstständiges Studium gerade in den Sozial- und Geisteswissenschaften nicht gewachsen waren. Sie hielten ihren Sozialstatus bis sie einen Arbeitsplatz hatten und Abbrecher wurden.

Dem folgte in den 90er Jahren zusätzlich die flächendeckende Ausdehnung dieser BRD-Strukturen auf die neuen Länder, der Abbau von Nachwuchs- und Professorenstellen in den Westuniversitäten und die populistischen Medienkampagnen gegen die Lehre der Professoren, deren Attraktivität den kulturindustriell gezüchteten Erwartungen an infantilisierender Betreuung und Event-Lehre nicht entsprechen konnte. Trotzdem wurden an vielen Standorten die Studieninhalte und Lehrformen von innen erneuert. Wo der Kampf um Experimentierklauseln und Freiheitsräume erfolgreich war, konnte Neues erprobt werden. Mit dem "Bologna-Prozeß", den sich einige wissenschaftsentfremdete Bürokraten und Politvermarkter ausgedacht haben, sollen diese Fortschritte kassiert werden, bevor sie Beispiel für andere werden könnten. Niemand lasse sich vom Gerede um "Spitze", "Exzellenz", "Innovation" täuschen. Die politische Klasse will keine qualitative Erneuerung des Studiums an Universitäten. Sie will die Menge der Zertifikate erhöhen. Aber dieser Übergang von der Selbstselektion der Studierenden zur Fremdselektion wird ihr morgen materiell und ideell teuer zu stehen kommen.

Was in Baden Württemberg mit der flächendeckenden Abschaffung des Magister und Diploms sicher erreicht wird, ist die Senkung der Abwanderungsquote hiesiger Universitätsabsolventen ins Ausland. Weil dies aber so schwer zu verstehen und massenmedial zu vermitteln ist, werden wir "bama" gezwungenermaßen einführen und wie so viele hochschulpolitische Irrläufe der letzten Jahrzente nach ein paar Jahren wieder abschaffen. Wir sind nicht resigniert. Wir haben einige Erfahrung mit dem, was unsere französischen Kollegen den "guerre à l’intelligence" nennen. Die Renaissance der Universität braucht langen Atem.

 

Prof. Dr. Wolfgang Eßbach

Institut für Soziologie der Universität Freiburg i.Br.

aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Donnerstag 24. Juni 2004, S. 8

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