Promotionsprojekt Dr. Sebastian J. Moser
Die Rückkehr der Sammler: Konturen einer neuen Sozialfigur in deutschen Städten.
Das geplante Dissertationsprojekt beschäftigt sich mit einer Sozialfigur, die immer häufiger in deutschen Städten anzutreffen ist: dem Pfandsammler. Mehr und mehr sieht man in den Innenstädten oder Parkanlagen Menschen in Mülltonnen herum stochern, die auf der Suche nach bepfandeten Flaschen oder Dosen sind. Diese Menschen sehen auf den ersten Blick nicht wie Obdachlose aus, obgleich ihre Tätigkeit sie in Verbindung mit dieser stigmatisierten Gruppe bringt.
Das Pfandsammeln muss als eine neue Form der informellen Ökonomie angesehen werden. Im Un-terschied zu bekannten Formen wie Schwarzarbeit oder Nachbarschaftshilfe ist diese Tätigkeit auf den öffentlichen Raum angewiesen, in denen die „Anderen“ ihren Müll zurücklassen und zeichnet sich daher durch ihre öffentliche Sichtbarkeit aus; auch wenn die Tätigen teilweise um Unauffällig-keit bemüht sind. Die Sichtbarkeit ist gerade ein Strukturmerkmal informeller Tätigkeiten, die vor allem aus weniger entwickelten Ländern bekannt sind. Zugleich werden sie als vermeintlich Ob-dachlose stigmatisiert und/oder kriminalisiert, weil ihr „Wühlen im Müll“ zivilisatorischen Rein-lichkeitsstandards widerspricht. Zudem scheint sich in den Medien ein Trend abzuzeichnen, in dem Pfandsammeln synonym für „arm sein“ und als ein stellvertretendes Symbol für die sich öffnende „soziale Schere“ Verwendung findet. Neben einem Beitrag zur Soziologie prekärer Lebens- und Arbeitsverhältinisse leistet die Beschäftigung mit den Pfandsammlern einen Beitrag zur Soziologie des Sammlers, die sich bis zum jetzigen Zeitpunkt stark auf das Sammeln als Liebhaberei fokussiert und – abgesehen von ethnologischen Studien über segmentäre Gesellschaften – das Sammeln als eine Form der Subsistenzsicherung weitestgehend ausgespart hat.
Im Vordergrund steht die Frage: Welche gesellschaftlichen und/oder individuellen Krisen sind es, für die das Pfandsammeln als eine angemessene Lösung gedeutet wird?; d.h. welche gesellschaftlichen und individuellen Dispositionen begünstigen die Entstehung einer solchen informellen Tätigkeit. Methodisch orientiert sich die Arbeit zu einem Großteil an ethnographischen Beobachtungen sowie der strukturalisistischen Hermeneutik. Mit Hilfe dieser Verfahren soll ein vermuteter gesellschaftlicher Deutungswandel nachgezeichnet werden. Zum einen wird das In-Kontakt-kommen-mit-Müll von Privatpersonen als eine legitime Form des Gelderwerbs gedeutet, zum anderen aber als stigmatisierte Tätigkeit angesehen. Eine Analyse der Arbeitspraxis erlaubt es sowohl Entwicklungstendenzen neuer, flexibler Arbeit, als auch neuere gesamtgesellschaftliche Tendenzen zu diagnostizieren.
Publikationen
- Karlheim, Christoph/ Moser, Sebastian J. (2008): „Aufbrechen“ der Soziologie. in: Rehberg, K.-S. (Hrsg.): Die Natur der Gesellschaft. Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2. mit CD-ROM, Frankfurt, Campus Verlag, S. 5418–5427.
- Karlheim, Christoph/ Moser, Sebastian J. (2008): Der Kampf mit dem Aufbrechen. in: Dietrich, Ch./ Hoffmann, M./ Pönisch, E./ Schladitz, Ch./ Schubert, Ch. (Hrsg.): Perspektiven der Soziologie. Beiträge zum Ersten Studentischen Soziologiekongress, Hamburg, Verlag Dr. Kovač, S. 27 – 37.