Promotionsprojekt Dr. Robert Feustel (Universität Leipzig)
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Grenzgänge. Kulturen des Rauschs seit der Renaissance
Abstract
Was bedeutet es, berauscht zu sein? Üblicherweise wird angenommen, Rausch sei ein von Drogen hervorgerufener „altered state of consciousness“, der – als Tatsache unstrittig – verschieden ausgelegt und bewertet werden kann. Um die Extreme zu skizzieren: Rausch ist entweder eine zu verbannende Gefahr für Leib, Leben und Gesellschaft, oder er ist eine, wenn nicht die Schlüsselerfahrung zur Herausbildung menschlicher Reflexionsfähigkeit. Die Arbeit geht dem „travelling concept“ (Mieke Bal) Rausch diskurs- und kulturgeschichtlich nach und zeigt dessen Verwicklungen in die jeweilige epistemische Konstellation. Dabei erscheinen Drogenerfahrungen als kontingentes Produkt spezifischer Wissensordnungen. Was im 16. Jahrhundert etwa ein realer und lesbarer Ausdruck verwirrter oder erleuchteter Seelen war, gilt im 18. Jahrhundert als basale Sinnestäuschung eines „angebrannten“ Gehirns. Wiederum einige Jahrzehnte später ermöglicht (vermeintlich) derselbe Zustand Einblicke in das transzendente Selbst des Menschen usw. Kurz: Die Transgeressionserfahrungen, die Grenzüberschreitungen, sind substantiell unterschiedlich. Selbst drogeninduzierte Erfahrungsräume hängen folglich an der jeweiligen „Ordnung der Dinge“ (Michel Foucault) und entziehen sich konsequent jeder vorgängigen Authentizität. Rausch schließlich ist, in diesem Licht besehen, ein „epistemisches Ding“ (Hans-Jörg Rheinberger), dass Drogenerfahrungen in eine bestimmte Form gießt und erfahrbar macht.
Rauschnarrative nähern sich zugleich etwa seit dem frühen 19. Jahrhundert mit aller Regelmäßigkeit einer Sollbruchstelle an: Die Erfahrungen der berauschten Überschreitung kehren entweder direkt oder indirekt im Moment des Schreibens darüber in die Ordnung des Diskurses zurück, und ihre Eigenheit verliert sich. Oder sie bleiben streng subjektiv. Was sich wiederkehrend im Topos des Geheimnisses verkapselt oder als „unaussprechlich“ ausgesprochen wird, ist die Bruchzone zwischen individueller Erfahrung und (zumindest versuchsweise) intersubjektiver Erkenntnis. Den verschiedenen Hoffnungen, mit Hilfe des Rauschs beispielsweise den Parcours der Selbsterkenntnis zu vollenden, folgte bisher immer die herbe Enttäuschung, dass sich die absolute Einsicht nicht hat kommunizieren lassen. Übrig bleibt ein Rätsel, ein Geheimnis und damit ein Überschreitungsmoment, das über den Diskurs hinausgeht. Rauschdiskurse deuten damit eine konstitutive Grenze an und lassen sich als verschiedene „Antworten des Realen“ (Jacques Lacan) interpretieren. Sie symbolisieren eine doppelte Bewegung des Diskurses und tangieren damit die Sollbruchstellen des Wissens: Erfahrungen werden ins Signifikatengewebe eingebunden und befinden sich doch immer ein Stück weit „off the record“ (Jacques Derrida).
Publikationen
Monographien:
Die Kunst des Verschiebens. Dekonstruktion für Einsteiger, München: Wilhem Fink Verlag, 2015 Link
"Ein Anzug aus Strom". LSD, Kybernetik und die psychedelische Revolution, Wiesbaden: Springer VS, 2015 Link
Grenzgänge. Kulturen des Rauschs seit der Renaissance, München: Wilhelm Fink Verlag, 2013 Link
Herausgeberschaften:
Robert Feustel/Nico Koppo/Hagen Schölzel (Hg.): Wir sind nie aktiv gewesen. Interpassivität zwischen Kunst- und Gesellschaftskritik, Berlin: Kadmos 2011 Link
Robert Feustel/Maximilian Schochow (Hg.): Zwischen Sprachspiel und Methode. Perspektiven der Diskursanalyse, Bielefeld: transcript 2010 Link
Ulrich Bröckling/Robert Feustel (Hg.): Das Politische denken. Zeitgenössische Positionen, Bielefeld: transcript 2010 (dritte, unveränderte Auflage 2012) Link
Zeitschriften und Buchbeiträge:
- "A Measure of Disorder" - Enthropie als Metapher für das Andere der Ordnung, in: Behemoth - A Journal on Civilisation (Vol. 7, Nr.1) 2014, S.118-139
- "The unspoken thing". Die Rationalität des Rauschs, in: Indes. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, (3) 2013, S. 8-16.
Vom „homo sapiens cyberneticus“. Das Bild des Menschen im Kontext der psychedelischen Revolution, in: kritische berichte, Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften, (1) 2013, S. 95-109
Intervention als Methode. Zum Verhältnis von Diskursanalyse und politischer Ideengeschichte, in: Andreas Busen/ Alexander Weiß (Hg.), Ansätze und Methoden zur Erforschung politischen Denkens. Schriftenreihe der Sektion Politische Theorien und Ideengeschichte der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, Baden-Baden: Nomos-Verlag 2013, S. 149-162
Das Geheimnis des Subjekts. Rauschdiskurse im 19. Jahrhundert und die Entdeckung einer erkenntnistheoretischen Schlüsselfigur, in: Sebastian Klinge/Laurens Schlicht (Hg.): Das Geheimnis und das Wissen. Form ud Funktion des Geheimnisses bei der Generierung von Wissen (1800-2000), Berlin: trafo-Verlag 2013 /i.E.)
Zweierlei Maß oder die Rückkehr des Raums? „Linksextremistische“ Thesen und ihre Resonanz, in: Susanne Feustel/Jennifer Stange/Tom Strohschneider (Hg.): Verfassungsfeinde? Wie die Hüter von Denk- und Gewaltmonopolen mit dem „Linksextremismus“ umgehen, Hamburg: VSA-Verlag 2012, S. 134-142
Optimieren statt Überschreiten. Über die Verbindung von Techno, Rausch und Kapitalismus, in: Phase 2 (43), 2012
Überwachung – Selbstschutz der Demokratie oder Symptom ihres Niedergangs? Anmerkungen zu einer falsch gestellten Frage, in: weiterdenken e.V./Kulturbüro Sachsen e.V. (Hg.): „Sachsens Demokratie“? Demokratische Kultur und Erinnerung, Medienlandschaft und Überwachungspolitik in Sachsen. Erweiterter Tagungsband 2012, S. 62–70
„Sozialwissenschaftliche Diskursforschung und method(olog)ische Systematisierung – Widerspruch, Gratwanderung, Herausforderung?“ Eine Debatte mit Robert Feustel, Reiner Keller, Dominik Schrage, Juliette Wedl und Daniel Wrana. Moderation und Regie: Silke van Dyk, in: DFG Netzwerk Methodologie und Methoden der Diskursanalyse (Hg.): Kompendium der interdisziplinären Diskursforschung, Berlin: Suhrkamp 2013 (i. E.)
„Fremde Vertraute“. Bilder von Ostdeutschen im Kontext der Psychotherapie, in: Rebecca Pates/Maximilian Schochow (Hg.): Der „Ossi“: Mikropolitische Studien über einen symbolischen Ausländer, Wiesbaden: VS 2013, S. 129-150
Entropie des Politischen. Zur strategischen Funktion des Extremismusbegriffs, in: Forum für kritische Rechtsextremismusforschung (Hg.): Ordnung.Macht.Extremismus. Effekte und Alternativen des Extremismusmodells, Wiesbaden: VS 2011, S. 117–140
Wir sind nie aktiv gewesen. Interpassivität zwischen Kunst- und Gesellschaftskritik, in Robert Feustel/Nico Koppo/Hagen Schölzel (Hg.): Wir sind nie aktiv gewesen, Berlin: Kadmos 2011, S. 7–16 (zusammen mit Hagen Schölzel und Nico Koppo)
Jenseits von Aktion und Operation. Zum Verhältnis von Interpassiviät und Simulation, in: Robert Feustel/Nico Koppo/Hagen Schölzel (Hg.): Wir sind nie aktiv gewesen, Berlin: Kadmos 2011, S. 207–220 (zusammen mit Hagen Schölzel)
Erlaubt ist, was nicht stört? Die Extremismus-Formel als Geburtsfehler der „Demokratie“, in: Phase 2 (38), 2010
Einleitung: Zwischen Sprachspiel und Methode. Perspektiven der Diskursanalyse, in: Robert Feustel/Maximilian Schochow (Hg.): Zwischen Sprachspiel und Methode. Perspektiven der Diskursanalyse, Bielefeld: transcript 2010, S. 7–17 (zusammen mit Maximilian Schochow)
„Off the Record“. Diskursanalyse als die Kraft des Unmöglichen, in: Robert Feustel/Maximilian Schochow (Hg.): Zwischen Sprachspiel und Methode. Perspektiven der Diskursanalyse, Bielefeld: transcript 2010, S. 81–99
Einleitung: Das Politische denken, in: Ulrich Bröckling/Robert Feustel (Hg.): Das Politische denken. Zeitgenössische Positionen, Bielefeld: transcript 2010, S. 7–19 (zusammen mit Ulrich Bröckling)
Jean Baudrillard: Die künstlichen Paradiese des Politischen, in: Ulrich Bröckling/Robert Feustel (Hg.): Das Politische denken. Zeitgenössische Positionen, Bielefeld: transcript 2010, S. 295–313 (zusammen mit Hagen Schölzel)
Vom Simulationsraum der Macht. Foucault mit Baudrillard gelesen, in: Axel Philipps, Daniel Hechler (Hg.): Widerstand denken. Michel Foucault und die Grenzen der Macht, Bielefeld: transcript 2008, S. 201–219
Freiheit im Vollzug: Foucaults Vorlesungen von 1978/79. Eine Replik auf Philipp Sarasin. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 1 2008, S. 152–154 (zusammen mit Swen Seebach)
Rezensionen:
Joseph Vogl: Das Gespenst des Kapitals. Zürich: diaphanes 2011. In: Behemoth (1), 2013, S. 118-121
Philipp Aumann: Mode und Methode. Die Kybernetik in der Bundesrepublik Deutschland. Göttingen: Wallstein Verlag 2009 und Michael Hagner, Erich Hörl (Hg.): Die Transformation des Humanen. Beiträge zu einer Kulturgeschichte der Kybernetik Frankfurt/M.: Suhrkamp 2008. In: Behemoth (3), 2010, S. 170–174
Žižek, Slavoj: Auf verlorenem Posten, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2009. In. Kritikon. Rezensionen zur Philosophie Bd. 3, 2010 Link
Pat O’Malley (Hg.): Governing Risks. Aldershot: Ashgate 2005. In: Behemoth (2), 2008, S. 95–98 (zusammen mit Matthias Roddatz)
Tiqqun: Kybernetik und Revolte. Zürich/Berlin: Diaphanes 2007. In: Behemoth (1), 2008, S. 94–97
Die gigantische List der Realität. Rezension zu Jean Baudrillard: Das System der Dinge (Frankfurt/Main 2007), Gesprächsflüchtlinge (Wien 2007) und Die Intelligenz des Bösen (Wein 2007). In: Phase 2 26 (2007), S. 4–6
Lexikon- und Wörterbuchbeiträge:
Regime, Steppunkt, Wahrheit. In: Wörterbuch der interdisziplinären Diskursforschung, hg. vom Netzwerk „Methoden und Methodologien der Diskursanalyse“, Berlin: Suhrkamp 2013 (i. E.)
Wissenschaftliche Vorträge:
- 24. Juni 2013:„Fremde Vertraute“. Bilder von Ostdeutschen im Kontext der Phychotherapie. Forschungskolloquium Jena, Prof. Stefan Lessenich (auf Einladung)
- 7. Juni 2013:Samstag ist der neue Montag. Über die gesellschaftliche Funktion von Drogen und Rausch, Diskussionsveranstaltung der Phase zwei, Leipzig
- 24. Mai 2013:„The unspoken thing.“ Rauschdiskurse und die Grenzen des Sagbaren, Konferenz: Grenzüberschreitungen und historische Diskursanalyse, Erfurt
- 14. Dezember 2012:Das Geheimnis des Subjekts. Rauschdiskurse im 19. Jahrhundert und die Entdeckung einer erkenntnistheoretischen Schlüsselfigur, Konferenz: Das Geheimnis und das Wissen, Universität Jena
- 14. Juli 2012:
Shifting Experiences, Shifting Boarders. Towards a Decontructive Reading of Intoxicaiton/Rausch, Konferenz: The Modern Concept of Intoxication/Rausch. Heterogeneous Mappings, Universität Freiburg i.Br. (auf Einladung)
12. Juli 2012:
Vom „Homo Sapiens Cyberneticus“. Das Bild des Menschen im Kontext der psychedelischen Revolution, Konferenz: Menschenbilder in der Populärkultur, Universität Siegen7. Dezember 2011:
Erlaubt ist, was nicht stört - politisches Handeln in extremen Zeiten, Kampagne „Sachsens Demokratie“, TU Dresden (auf Einladung)5. Juni 2011:
„Erlaubt ist, was nicht stört“. Politisches Handeln in der Demokratie, Conne Island Leipzig (auf Einladung)17. Juni 2010:
Intervention als Methode. Zum Verhältnis von Diskursanalyse und politischer Ideengeschichte, Workshop: „Ansätze und Methoden zur Erforschung politischer Ideen“, Universität Hamburg20. Februar 2010:
Jenseits von Aktion und Operation. Zum Verhältnis von Interpassivität und Politik, Konferenz: „Wir sind nie aktiv gewesen“. Interpassivität zwischen Kunst- und Gesellschaftskritik, Leipziger Forschungsgruppe Soziales, Leipzig20. November 2009:
Entropie des Politischen. Zur strategischen Funktion des Extremismusbegriffs, Workshop: „Ordnung–Macht–Extremismus“, Universität Leipzig8. Februar 2009:
Die Unerbittlichkeit des Wunsches. Deleuze & Guattari und das Problem der Entscheidung, Konferenz: Zwischen Widerstand und Management. Zur Politischen Philosophie von Deuleuze & Guattari, Leipziger Forschungsgruppe Soziales, Leipzig6. November 2008:
Mythos (Politik-) Wissenschaft? Diskursanalyse als die Kraft des Unmöglichen, Konferenz: „Mythos Diskursanalyse? Über die Qualität qualitativer Politik und Sozialforschung, Zentrum für Methoden der Sozialwissenschaften, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg3. Mai 2008:
Zur Politik der Ekstase. Rauschexperimente im Kontext der psychedelischen Revolution – Das Beispiel Timothy Leary, Workshop: Experimentalisierung des Politischen, ICI Berlin